Renault segelt auf dem deutschen Markt unter Aufwind. Der französische Hersteller, über viele Jahre erfolgreichster Importeur, nun von Skoda deutlich distanziert, hat 2016 um sieben Prozent gegenüber den ersten vier Monaten in 2015 zugelegt. 36 559 neue Fahrzeuge brachten die Franzosen bis Ende April neu auf den Markt. Den Erfolg führen die Verantwortlichen auf die jüngste Modellpalette in der Geschichte der Marke zurück, die neue stimmige Designsprache und das Bekenntnis zur verbesserten Produktqualität, das fünf Jahre Garantie auf Neufahrzeuge unterstreichen soll.
In den wichtigsten Segmenten, der Kompakt- und Mittelklasse, treten nun die vierte Generation des Golf-Gegners Megane und die Mittelklasse-Limousine Talisman als komplette Neuentwicklung an. In beiden Klassen setzt Renault neben dem neuen Look auf exklusive Technik. Beide Modellreihen sind mit einer Allradlenkung verfügbar. Ein Novum in beiden Klassen.
Allradlenkung? Natürlich ist die der gelenkten Hinterräder nicht neu. Auf dem Papier verspricht eine lenkbare Hinterachse seit jeher Vorteile. Sowohl bei der Fahrdynamik, der aktiven Sicherheit und nicht zuletzt einen Komfortgewinn beim Rangieren. In den späten Achtzigern arbeiteten sich vor allem japanische Hersteller an dieser Technik ab. Mazda bot beispielsweise die Mittelklasselimousine 626, Honda das Coupé Prelude mit lenkbaren Hinterachsen an. In beiden Fällen handelte es sich um rein mechanische Systeme, die in der Praxis die theoretischen Vorteile nicht liefern konnten. Weniger weil es den Entwicklern an technischem Talent gemangelt hat, als vielmehr wegen der Gesetze der Fahrphysik, die Kurvendynamik wesentlich komplexer definieren, als sich mit den Mitteln der Mechanik erfüllen lässt, indem die hinteren Räder einfach synchron zur Vorderachse die Lenkbewegungen gegenläufig mitverfolgen. Weil beide Lösungen keinen praktischen Vorteil erbrachten, dafür den mechanischen Aufwand steigerten und nicht zuletzt das Gewicht, verschwand die Hinterachslenkung wieder in den Schubladen.
Mit dem Einzug leistungsfähiger Elektronik, die immer anspruchsvollere Assistenzsysteme ermöglicht und der entsprechenden Sensorik wurden die technischen Karten innerhalb der Fahrwerksentwicklung frisch gemischt. Die neusten Generationen gelenkter Hinterräder sind seit wenigen Jahren Privilegien von renommierten Premiumfahrzeugen. BMW verleiht damit der Siebener-Reihe, Porsche dem 911 Turbo ein auch in der Praxis erlebbares Upgrade in Punkto Fahrdynamik, Beherrschbarkeit und Manövrierbarkeit.
Nun wagt Renault den Schritt, die neue Fahrwerkstechnik als erster Hersteller in der Familie der Kompakten und der Mittelklasse zu etablieren. Die beiden Segmente um VW Golf & Co sowie um den Mittelklasse-Marktführer Passat aus gleichem Hause bestreiten mehr als 50 Prozent des gesamten deutschen Pkw-Marktes. In beiden Klassen tritt Renault derzeit mit komplett neu entwickelten Modellreihen und breitem Angebotsspektrum an.
Die Ende des letzten Jahres eingeführte vierte Generation des Megane ist als Steilheck-Limousine mit drei Benzin- und drei Dieselmotoren erhältlich, die ein Leistungsspektrum von 66 kW / 90 Ps bis 151 kW / 205 PS abdecken. In der Preisspanne zwischen 16.790 und 29.090 Euro kann der Kunde aus sechs Ausstattungslinien darüber hinaus aus reichlich optionaler Vielfalt wählen. Doppelkupplungsgetriebe, Head-du-Display, exklusive Sound- und reichhaltige Fahrassistenzsysteme sind ebenso verfügbar, wie in kürze die Kombiversion Grandtour.
Ähnlich üppig sieht es beim Talisman aus. Der Nachfolger des Laguna kommt aktuell in die Kundenauslieferung. Zwei Benziner und drei Dieselmotoren spannen den Leistungsbogen von 81 kW / 110 PS bis 147 kW / 200 PS. Drei Ausstattungslinien stehen ab 29 450 Euro zur Verfügung, das Topmodell steht mit 41 000 Euro in der Liste. Für den ab September verfügbaren Kombi „Grandtour“ beträgt der Aufpreis 1000 Euro.
Um in der Klasse, die in Deutschland die Wettbewerber aus Süddeutschland und Wolfsburg beherrschen, ein Zeichen setzen zu können, bedarf es neben den gängigen Assistenzsystemen und Komfortablen Benevolenzen bis hin zur programmierbaren Massagefunktion für Fahrer und Beifahrer eines besonderen technischen Leckerbissens. Renault hat sich darum für die Premiere einer dynamischen Allradlenkung in den beiden populären Klassen entschieden. Der mechanische Aufwand erfordert in beiden Fällen unter anderem größer dimensionierte Querstabilisatoren, entsprechend modifizierte Aufhängungen der Mehrlenkerachse und einen Aktor für sie Ausführung der jeweiligen Lenkbewegung. Jedoch erst die komplexe elektronische Steuerung verleiht dem System nicht nur Leben, sondern tatsächlich erlebbaren praktischen Nutzen. Je nach Programm und Geschwindigkeit beträgt der maximale Lenkausschlag 3,5 Grad. Die umfangreiche Sensorik analysiert in winzigen Bruchteilen von Sekunden die aktuelle Fahrsituation. Gleichgültig, ob es sich um ein Parkmanöver oder eine blitzartig erforderlich Ausweichsituation handelt. Je nach Bedarf schlägt dabei die Lenkung die Hinterräder gegensinnig zur den Vorderädern ein, um die Manövrierbarkeit zu erleichtern oder gleichsinnig, wenn es darum geht in Gefahrensituationen die Fahrstabilität zu erhöhen.
In der Praxis arbeitet die Hinterachslenkung beim Talisman wie beim Megane unauffällig, fast unspektakulär. Fühlbar ist vor allem beim Talisman die hohe Lenkpräzision vor allem bei simulierten Ausweichmanövern mit hohen Tempi, die natürlich nicht zum normalen Fahralltag zählen, im Ernstfall aber das Zünglein an der Waage spielen können. Auf die Frage, ob die Allradlenkung ein sinnvolles Feature ist und das Alleinstellungsmerkmal bei Renault mit Sinn und Leben füllt, findet der Fachmann eine klare Antwort. Albert Königshausen, Auto- und Technikspezialist der „Vox“-Sendung „auto mobil“, stellte dazu fest: „Diese Systeme für die Hinterradlenkung bringen in der Praxis mehr Nutzen, als beispielsweise ein Spurhalteassistent.“
Den Erfolg der Marke Renault beflügelten in der Vergangenheit nicht wegweisende Fahrzeugkonzepte von Renault 4 über den R5 oder den Renault 16. Die allradlenkenden Vertreter der Kompakt- und Mittelklasse haben das Zeug, in diese Fußstapfen zu treten.
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