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Eine tickende Zeitbombe ist kürzlich explodiert. Die Autobahnbrücke über den Rhein bei Leverkusen ist derart marode, dass das Bauwerk der A1 sofort für alle Fahrzeuge ab 3,5 Tonnen Gesamtgewicht gesperrt werden muss. Symptom einer drohenden Pandemie. Alleine in Nordrhein-Westfalen müssten auf der Stelle 30 neue Brücken her. Passieren wird jedoch nichts. Die Politik hat keinen Plan.
1965 hatte Köln Grund zu feiern. Nach dreijähriger Bauzeit eröffnete am 5. Juli die sechsspurige Autobahnbrücke über den Rhein, die seitdem den Kölner Stadtteil Merkenich mit Leverkusen-Wiesdorf verbindet. Das 1 061 Meter lange Bauwerk galt als Meisterwerk der Brückenbaukunst, gespannt mit acht Stahlseilen über zwei Pylonen. Mit der Brücke war endlich der Kölner Autobahnring geschlossen. Obwohl bereits mit sechs Fahrspuren konzipiert, konnten die Baumeister vor 50 Jahren kaum die Entwicklung des Straßenverkehrs im neuen Jahrtausend in ihrer Planung berücksichtigen. 2012 passieren durchschnittlich 120 000 Fahrzeuge pro Tag die Brücke. Davon etwa 20 000 Lastwagen mit einem Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen.
Diese unkalkulierte Belastung hat der Brücke so zugesetzt, dass die Ingenieure auf ihren Kontrollgängen durch die Struktur der Brücke jüngst Alarm schlugen. Die Zahl der Risse und Beschädigungen nimmt in beängstigendem Maße zu. Somit war die Sperrung für Autos über 3,5 Tonnen unumgänglich.
Die Beinahe-Katastrophe, die augenblicklich das Kölner Stadtgebiet in eine Chaos-Zone durch den Ausweichverkehr geführt hat, ist das Symptom einer bevorstehenden Pandemie, die das bundesdeutsche Straßennetz mit tödlicher Konsequenz bereits infiziert hat. Alleine in Nordrhein-Westfalen sind 30 wichtige Brücken erneuerungsbedürftig. Angesichts der 330 Millionen Euro, die dem Bundesland für Straßenbaumaßnahmen zur Verfügung stehen, würde es zehn Jahre dauern, diese Brücken zu ersetzten. In diesem Zeitraum dürfte aber nicht ein einziger Cent in andere Baumaßnahmen des Straßennetzes fließen.
Wie umfassend das Versagen der Politik und der Verantwortlichen bei Pflege und Erhalt der wirtschaftlichen Lebensadern der Industrienation Deutschland ist, lässt sich an einem ganzen Gebinde von Unzulänglichkeiten festmachen. Selbst wenn der Bund und das Land NRW die erforderlichen 150 Millionen Euro für eine neue Rheinbrücke bei Leverkusen nach aktueller Kalkulation sofort auf den Tisch legen würden, könnte der erste Spatenstich erst gegen 2022 erfolgen. So lang benötigen die Planungen und Planfeststellungsverfahren für derartige Projekte. Schließlich müssen die Anschlüsse mit dem Autobahnknoten Leverkusen ebenfalls neu gestaltet werden, was auf der Kostenseite noch nicht einmal grob fixiert ist. Immerhin konnte sich Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer angesichts des Brückendesasters auf der A1 zur sachlich uneingeschränkt richtigen Feststellung versteifen: „Der Zustand der Brücken in allen Bundesländern ist höchst besorgniserregend.“
Dass staatliche Stellen und Politiker mit komplexen Verkehrsprojekten traditionell überfordert sind, dokumentieren aktuell die größten Verkehrsbaustellen der Republik. In Schritten von ein bis zwei Monaten verteuert sich der Berliner Flughafen in Schöneberg um Raten von 250 Millionen Euro. Und kaum hat der erste Bagger noch nicht richtig am Stuttgarter Erdreich für Stuttgart 21 gekratzt, steht überraschend fest, dass die erste Milliarde Steuermittel zusätzlich fällig ist.
Dass Deutschland seinen Wohlstand zu einem großen Teil mit einem Straßennetz erwirtschaften will und muss, dessen qualitativer Zustand sich galoppierend mit dem der Dritten Welt solidarisiert, scheint umso irrsinniger, da das Steueraufkommen aus dem Individualverkehr in der Theorie Mittel im Überfluss bereit stellt. Die 100 000 Kilometer Anteil am Straßennetz, die dringend saniert werden müssten, könnten quasi aus der Portokasse erneuert werden.
Die wichtigsten Batzen liefern Mineralöl- und Kraftfahrzeugsteuer sowie die Lkw-Maut. Dies sind alles Einnahmequellen, die nach dem sogenannten „Verursacherprinzip“ im Staatssäckel klimpern. Sie wurden erhoben, um die Verkehrswege und ihren Verschleiß durch die bezahlen zu lassen, die sie nutzen und beanspruchen. Alleine die Mineralölsteuer lieferte 2011 rund 42 Milliarden Euro. Ein Freudenspender für jeden Verkehrsminister seit 1879, als die Steuer als „Petroleumzoll“ ihre Premiere feiern durfte. Dazu gesellen sich etwa neun Milliarden Euro aus der Kfz-Steuer und 6,5 Milliarden Euro Jahreseinnahmen aus der Lkw-Maut. Das summiert sich auf 57,5 Milliarden Euro. Der Etat des Bundesverkehrsministeriums für 2012 beträgt für alle Neubau- und Erhaltungsmaßnahme für Schiene, Straße, Wasserstraße und kombinierter Verkehr 10,52 Milliarden Euro. Somit dürfen 47 Milliarden Steuern und Gebühren aus dem Individualverkehr mannigfaltigste Löcher politischer und fiskalischer Misswirtschaft stopfen. Gegen die Pandemie des Verfalls bei Brücken und Straßen wird es auch weiterhin als Heilmittel nur zum Äquivalent eines Lindenblütentee reichen.
geschrieben von auto.de/(tl/mid) veröffentlicht am 06.12.2012 aktualisiert am 06.12.2012
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