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Sind autonome Autos die Lösung für unsere verstopften Großstädte? Wie wird das automatisierte Fahren den Verkehr verändern? Und dürfen Autos im Notfall über Leben und Tod entscheiden? Deutschlands Vorzeige-Philosoph und Bestsellerautor Richard David Precht stellt dazu in seinem neuesten Buch „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens“ einige originelle und bedenkenswerte Überlegungen an.
Mit Hochdruck arbeiten zur Zeit alle namhaften Hersteller und Hightech-Unternehmen an der Technologie des selbstfahrenden Autos. Einige, wie Tesla, Googles Schwester Waymo oder der Privattaxi-Vermittler Uber nutzen dabei öffentliche Straßen auch schon mal als Teststrecke und Kunden als Versuchskarnickel.
Andere, wie Mercedes, Audi oder VW sind da zurückhaltender und geben nichts frei, was nicht vom Gesetzgeber geregelt ist. Allen gemein ist jedoch die feste Überzeugung, dass das selbstfahrende Auto kommt. Allein schon um die Zahl der Unfallopfer dramatisch zu senken. Oder um den zunehmend dichteren Individualverkehr überhaupt noch irgendwie lenken zu können.
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Für den Philosophen Richard David Precht ist dagegen die Zuspitzung auf autonom fahrende Autos als ultimative Lösung aller großstädtischen Verkehrsprobleme eine „großartige Marketingleistung“. Denn weder haben die Straßen und Plätze von Sevilla, Neapel oder Lyon „kaum eine Gemeinsamkeit mit der Monotonie des rasterförmigen Verkehrsnetzes im stillgelegten Orangen-Ödland des Silicon Valley, wo das voll automatisierte Fahren ersonnen wird“.
Noch gibt es eine zwingende Logik, dass allein Roboterautos den Stadtverkehr sicherer machen können, selbst wenn sie langfristig vermutlich zu weniger Verkehrstoten führen. Weniger Autoverkehr als Ganzes hätte denselben Effekt, vermutet der Philosoph, ebenso wie regelmäßige Fahrtüchtigkeitskontrollen, drastischere Strafen für den Handygebrauch am Steuer oder cleverer Schienenverkehr.
In jedem Fall werden autonom fahrenden Autos eine sehr teure und enorm aufwändige Angelegenheit. Neben den Fragen, ob sich der hohe finanzielle Aufwand und der gewaltige Umbau der Infrastruktur am Ende auszahlt, treiben den Intellektuellen vor allem die damit verbundenen gesellschaftlichen und ethischen Folgen um. Insbesondere das in der Diskussion oft thematisierte Dilemma, in dem selbstfahrende Autos in einer unausweichlichen Unfallsituation selbst entscheiden sollen, ob sie den betagten Opa zugunsten des spielenden Kindes, Busreisende gegen Einzelfahrer oder sichere Autoinsassen gegen unsicheren Motorradfahrer opfern.
Oder allgemeiner gesprochen: Dürfen autonome Autos mit einem „ethischen“ Code programmiert werden, der die Zahl der Todesfälle oder Verletzungen reduziert, in dem er Leben gegeneinander aufwiegt? Prechts Antwort darauf ist eindeutig: „Keine ‚ethische‘ Programmierung. Niemals!“ Entscheidungen über Leben und Tod können nicht an künstliche Intelligenzen abgetreten werden. Nicht zuletzt verstieße es auch gegen das im Grundgesetz (Art.2, Abs.2) verankerte Recht auf Leben. „Einen ‚Todesalgorithmus‘ darf es niemals geben“, fordert der Philosoph.
Doch hier kämpft Precht genau genommen gegen Windmühlen. Denn schon im Sommer 2017 hat eine vom Verkehrsministerium einberufene Ethik-Kommission, zusammengesetzt aus Rechtswissenschaftlern, Ingenieuren und IT-Experten, Autoherstellern, ADAC und Verbraucherschützern sowie einem Weihbischof und Philosophen, „die notwendigen ethischen Leitlinien für das automatisierte und vernetzte Fahren“ aufgestellt.
Darin heißt es in der achten Regel: „Echte dilemmatische Entscheidungen, wie die Entscheidung Leben gegen Leben sind […] nicht eindeutig normierbar und auch nicht ethisch zweifelsfrei programmierbar.“ Und einen Absatz weiter stellt die Kommission klar: „Bei unausweichlichen Unfallsituationen ist jede Qualifizierung nach persönlichen Merkmalen (Alter, Geschlecht, körperliche oder geistige Konstitution) strikt untersagt. Eine Aufrechnung von Opfern ist untersagt.“
Schon gar nicht, wenn der einzige ausgewiesene Ethiker der Kommission auf einem von Facebook finanzierten Lehrstuhl an der Uni München sitzt. Dieser hat denn auch mit Kollegen eine Aufsatzsammlung herausgegeben, die Fragen „ethischer“ Programmierbarkeit durchspielen, in dem Fahrzeuge bei einem drohenden Crash über das Fahrverhalten verhandeln, ähnlich dem bereits heute in Flugzeugen eingesetzten Traffic Avoidance System.
Wobei dann das Auto mit mehr Fahrgästen Priorität erhalten könnte. Säße allerdings zufällig in einem der Fahrzeuge der Bundespräsident, würde „man schon eine Lösung finden“, ätzt Precht. Doch abseits aller Ironie wäre damit zugleich auch die Büchse der Pandora geöffnet. Denn „wer einmal die Schleuse zur Verrechnung von Leben öffnet, wird sie nie mehr schließen können“, glaubt Precht.
Kaum weniger befremdlich erscheint in dem Zusammenhang ein Vorschlag des Vorsitzenden des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, der als Professor für Systematische Theologie mit Schwerpunkt Ethik an der Uni Erlangen-Nürnberg sich allen Ernstes vorstellen kann, „dass künftig jeder, der ein selbstfahrendes Auto besteigt, in eine App seine moralischen Präferenzen eingeben muss.“
Wer diesen verstörenden Gedanken auch nur ansatzweise zulässt, kann sich schnell ausmalen, wie diese Auswahl bei einem rassistischen, rechtsextremen oder homophoben Roboterautofahrer ausfallen wird. Doch der Theologe weiß Rat: „Parallel zum Führerschein sollte dann vielleicht ein Ethikkurs Pflicht sein, bevor man Halter eines autonomen Fahrzeugs werden darf.“ So viel Naivität grenzt schon fast an Realitätsverweigerung.
In Wirklichkeit werden im Straßenverkehr höchst selten moralische Entscheidungen getroffen, zumindest nicht in plötzlichen Notsituationen, weiß Precht. Im Gegenteil, taucht ein Hindernis auf, reagiert man einfach reflexartig. Jeder, der dann noch Zeit hätte, zwischen dem Lebenswert einzelner Personen eine abwägenden Entscheidung zu treffen, würde als kaltblütig und berechnend gelten.
Oder zumindest als moralisch gestört, wenn er zu Protokoll gibt, dass er die drei alten Damen zugunsten des Kindes überfahren hat, weil das Kind die insgesamt höhere Lebenserwartung habe. Genau das aber wäre bei einer ethischen Programmierung der Fall. „Was demnächst in selbstfahrende Autos moralisch implementiert werden soll, ist also keinesfalls programmierte Menschlichkeit, sondern Unmenschlichkeit.“ In der Kalkulation menschlichen Lebenswertes „entfernt sie das Leben aus dem Leben“.
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Ebenso bedenkenswert wie die moralischen Probleme „ethisch“ programmierter Roboterautos wären die Folgen für den öffentlichen Raum. Abgesehen von der Inkompatibilität und den Problemen eines Mischverkehrs von Autos mit und ohne Fahrern, sollten tatsächlich irgendwann selbstfahrende Autos das städtische Straßenbild beherrschen, würden sich die „Machtverhältnisse“ im Verkehr umdrehen.
Weil autonom fahrende Autos aufgrund ihrer Programmierung stets defensiv reagieren, könnte beispielsweise ein Radfahrer – „schon jetzt das unberechenbarste Element im Straßenverkehr“ – in Schlangenlinie vor einem Auto herumradeln und lange Staus provozieren, ohne befürchten zu müssen, angefahren oder verprügelt zu werden. Oder fünf mutwillig auf einer zentralen Kreuzung stehende Personen würden ohne Gefahr für Leib und Leben den gesamten Verkehr einer Stadt blockieren – zur Freude aller künftigen Demonstranten, Fußballfans oder betrunkenen Schüler.
Allerdings dürften Sie sich in dieser schönen, neuen Verkehrswelt nicht wundern, wenn das Handy dann unverzüglich eine SMS von der Polizei mit dem Text: „5000 Euro Strafe. Für jede weitere Minute 1000 Euro mehr“ anzeigt. Denn vollautomatisierter Verkehr funktioniert natürlich nur dann reibungslos, wenn die komplette Stadt mit Sensoren und Kameras ausgestattet ist, mit denen dann auch jeder Verkehrsteilnehmer sofort identifizieren weden kann. Im vollautomatisierten Stadtverkehr der Zukunft „muss die Umgebung der selbstfahrenden Autos begradigt, das heißt so streng wie möglich geregelt und überwacht werden“ und Störungen dieses Ablaufs werden eine schwere, weil systemgefährdende Straftat.
Somit werden in Zukunft nicht nur die Autos selbst permanent Daten sammeln, alles über ihre Fahrgäste und deren Verhalten wissen und dies an Hersteller und Provider weiterleiten. Der voll automatisierte Verkehr verlangt außerdem, „dass Staat, öffentliche Hand, Geheimdienst und Polizei jederzeit bestens über jeden Vorgang auf jeder Straße und auf jedem Bürgersteig informiert sind“. Und das alles nur, weil man ursprünglich nur die Zahl der Verkehrsopfer senken wollte.
Unterm Strich ist für Precht das voll automatisierte Fahren in den Städten zur Lösung der aktuellen Verkehrsprobleme „die mit Abstand schlechteste Idee“. Wer dabei dann auch noch einer „ethischen“ Programmierung das Wort redet, „will nicht nur einen anderen Verkehr, sondern auch ein anderes Wertesystem und eine andere Gesellschaftsordnung“.
geschrieben von AMP.net/deg veröffentlicht am 10.08.2020 aktualisiert am 10.08.2020
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