Allmählich wird es ernst. Das autonom fahrende Auto ist unaufhaltsam auf dem Vormarsch und nimmt immer mehr Gestalt an, sowohl in der Praxis auf der Straße als auch in den Rahmenbedingungen von Assekuranz und Rechtsprechung. So bietet die
neue E-Klasse von Mercedes auf Wunsch Fahrerassistenzsysteme der nächsten Generation, die schon heute das erlaubte, gefahrlos und technisch Mögliche der autonomen Fortbewegung ausschöpfen. Was die bürokratischen Regeln angeht, ohne die selbstständig fahrende, lenkende und bremsende Fahrzeuge von morgen und übermorgen keine Chance hätten, sind die Amerikaner zurzeit am weitesten. Jetzt soll es dort zehn Jahre lang sogar staatliche Hilfe für die Weiterentwicklung dieser Autos geben. Und die Schweizer wollen schon im nächsten Jahr zeigen, wo es lang geht.
Ende des vergangenen Jahres kündigte das Verkehrsministerium des US-Bundesstaats Kalifornien in weiser Voraussicht Regularien an, die „als Richtschnur für die im Entstehen begriffene, aber schnell wachsende Industrie für autonom fahrende Autos dienen“ sollten. Darauf erhob sich bei Google
Heulen und Zähneklappern. Grund: Die Westküsten-Behörde hielt es für unverzichtbar, dass aus Sicherheitsgründen auch in einem selbstständig fahrenden Auto stets Fahrer, Lenkrad sowie Brems- und Gaspedal anwesend sein müssten. Doch über solche Einrichtungen verfügen die 50 Google-Testvehikel, die inzwischen auf öffentlichen Straßen in Kalifornien und Texas autonom mehr als zwei Millionen Kilometer abgespult haben und auf einen menschlichen Fahrer verzichten können, nicht.
In einem Brandbrief rief deshalb Chris Urmson, bei Google Chef des Projekts für autonome Fahrzeuge, die Sicherheitsbehörde National Highway Traffic Safety Administration (NHTSA) um Hilfe. Mit der Antwort ließ sich die NHTSA – für ihre Verhältnisse rasant – nur knapp drei Monate Zeit und gab den Startschuss dafür, eines der größten Hindernisse für selbstfahrende Autos aus dem Weg zu räumen. Denn: „Wenn kein menschlicher Insasse das Fahrzeug fahren kann, ist es sinnvoller, als Fahrer das anzuerkennen, was auch immer es fährt“, schrieb die Behörde in ihrer Antwort an Urmson. Man stimme Google zu, dass sein selbstfahrendes Auto keinen „Fahrer“ in dem seit über 100 Jahren gängigen traditionellen Sinne haben müsse. Zugleich mache das auch neue Prüfverfahren für die Technik notwendig, die es derzeit nicht gebe. Mit anderen Worten: Roboter dürfen den Menschen am Steuer verdrängen.
Damit steht Artikel acht der sogenannten Wiener Straßenverkehrskonvention von 1968, einer Grundlage der internationalen Verkehrsordnung, zur Disposition. Zurzeit heißt es dort noch: „Jedes Fahrzeug und miteinander verbundene Fahrzeuge müssen, wenn sie in Bewegung sind, einen Führer haben.“ Gemäß der jetzt getroffenen Entscheidung der NHTSA kann es sich dabei aber auch um eine Software handeln. Zurückhaltung übte die Behörde lediglich bei der Frage, ob Autos ohne Lenkrad Pedalerie und Lichtschalter zukünftig genehmigt würden, ließ aber Google ein Hintertürchen offen: Der Konzern könne ja eine Ausnahme für seine autonomen Fahrzeuge beantragen, hieß es.
Das Entgegenkommen der US-Behörde ist vor allem damit zu erklären, dass sich die Amerikaner vom automatisierten Fahren eine erhebliche Senkung der Unfallzahlen versprechen. Das Forschungsinstitut Virginia Tech Institute in Blacksburg im US-Bundesstaat Virginia rechnete im Auftrag von Google vor, dass autonome Autos in weniger Unfälle verwickelt sind als traditionelle Fahrzeuge. So erlitt die Google-Flotte in den vergangenen sechs Jahren 17 Crashs, an denen jedoch stets der Gegner die Schuld trug. Doch damit nicht genug. Fahrerlos vernetzte und autonom fahrende Autos könnten Staus vermeiden und umfahren, älteren oder behinderten Menschen endlich Mobilität ermöglichen, durch vorausschauende Fahrweise Energie einsparen, die Umwelt zu schonen und den Insassen während der Fahrt erlauben, anderen Tätigkeiten nachzugehen, um nur einige Vorteile zu nennen.
In den USA soll deshalb die Entwicklung des Autonomen Fahrens beschleunigt werden, wozu Präsident Barack Obama 3,9 Milliarden Dollar (3,5 Milliarden Euro) für landesweite Tests vernetzter, autonomer Autos bereitstellen will. Um ein umweltfreundlicheres Verkehrssystem finanzieren zu können – wozu er auch das autonome Auto zählt – will Obama außerdem eine neue Energiesteuer von zehn Dollar pro Barrel Öl einführen, was die Gallone Sprit um 25 US-Cent (gleich bedeutend mit sechs Euro-Cent pro Liter) verteuern würde. Ob er mit diesem Vorschlag seiner Parteifreundin Hillary Clinton auf dem Weg ins Weiße Haus einen Gefallen getan hat, ist allerdings zu bezweifeln. Und auch von der Gegenseite spuckten maßgebende Republikaner, die Klimaverträge und globale Erwärmung als Hirngespinste abtun, bereits Gift und Galle. „Dümmste Idee aller Zeiten“, ließ sich der für seine Öl-Investitionen bekannte Milliardär T. Boone Pickens zitieren.
In Europa bereiten sich derweil erste Unternehmen darauf vor, die autonome Fortbewegung für die breite Allgemeinheit Wirklichkeit werden zu lassen. Besonders weit sind die Eidgenossen im Kanton Wallis. Im Auftrag der Post will die Post-Auto Schweiz AG dort zwei autonome Fahrzeuge ausprobieren. Sie wurden vom französischen Unternehmen Navya entwickelt und werden zu 100 Prozent elektrisch angetrieben. Die beiden Shuttles werden in Kürze bis zu neun Personen mit maximal 20 km/h durch die Straßen von Sitten befördern. Dabei begleitet sie zwar immer ein Aufseher, sie verkehren aber vollautomatisiert und verfügen weder über ein Lenkrad noch über Brems- und Gaspedale. Für alle Fälle gibt es einen Schalter als Notbremse. Dank moderner Sensoren können die Fahrzeuge tagsüber wie auch nachts auf den Zentimeter genau fahren und sämtliche Hindernisse, Verkehrsschilder und Ampeln erkennen.
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