In und um Södertälje gilt bis zuletzt die höchste Geheimhaltungs Stufe: Alle Bilder und Informationen zu "Scania's Next Generation" werden gehütet wie die schwedischen Kronjuwelen. Nach 25 langen Jahren Bauzeit und unzähligen Facelifts ist die neue Lkw-Generation von Scania fast überfällig. Ein großer Moment für die schwedischen Entwickler und für die gesamte Belegschaft. Erst im letzten Augenblick - kurz vor der Präsentation - kursieren einige Design-Skizzen im Internet. Aber die, so zeigt sich heute, haben nur periphere Ähnlichkeit mit den neuen Modellen. Denn so kühn, wie sich die Zeichnungen geben, wirken die neuen Schweren aus Südschweden nicht.
Auf den ersten Blick macht sich etwas Enttäuschung breit. Ist es vielleicht doch nur ein Facelift, das ganz groß verkauft werden soll? Will man es positiv sehen, korrespondiert die Linienführung der "Next Generation" mit den bisherigen Modellen und lässt diese nicht alt aussehen. Wer sie aber gemeinsam betrachtet, sieht den Fortschritt sofort. Die neue Baureihe betont den Kubus, die bisherigen Radien fallen enger aus - es geht um mehr Platz im Fahrerhaus. Die jetzt rund zehn Zentimeter längere Kabine wurde im Konzern entwickelt, bei Scania spricht man von einer Zusammenarbeit mit Porsche Engineering.
Ganz wesentlich verbessert sich das Raumangebot: Der große Instrumententräger baut flacher, der Fahrerplatz rückt etwas nach vorn und nach links außen. Und das früher weit in den Innenraum ragende Armaturenbrett bleibt eher plan - so entsteht mehr Freiraum, auch die Betten werden damit breiter. Auf Wunsch ruht der Fernfahrer auf einem ein Meter breiten Bett, wenn es nach vorn ausgezogen wird, zuvor werden die Sitze nach vorn gerückt. Die Sitze sind im Lkw ein eminent wichtiges Thema: Das hochwertige Gestühl, es gibt sicher auch billigere, stammt von Recaro und bietet jeden erdenklichen Komfort. Der Beifahrersitz ist auch nicht ohne: Er wird auf Wunsch zum Fernsehsessel, wenn man ihn zur Mitte dreht.
Aber das ist nur das kleine Einmaleins einer neuen Lkw-Generation. Natürlich werden die neuen Fahrerhäuser aus hochfestem Stahlblech gebaut, neue Scania's müssen den ultraharten Schwedentest bestehen, der in Europa nicht verpflichtend ist. Bei einer Frontalkollision mit einem Lkw - der Super-Gau - kann die Kabine bis zu 40 Zentimeter nach hinten ausweichen. Gerade im Kabinenheck, wenn die Ladung von hinten drückt, baut eine Crashzone die Aufprallenergie ab. Gut zu wissen um so viel Sicherheit, soweit sollte es hoffentlich nicht kommen. Davor soll ja auch der Notbrems-Assistent schützen, der Spur-Assistent und alle elektronischen Helfer. Gleich nach dem Einsteigen, auch das geht jetzt besser, fällt die Tür satt ins Schloss und klingt hier wie ein Audi. Am Fahrerplatz beschleicht einen sofort ein vertrautes und gutes Gefühl: Hier bin ich zuhause, da kenne ich mich aus. Keine Experimente, (fast) alles ist bekannt, nach wenigen Minuten könnte es losgehen. Der Lichtschalter, natürlich der bekannte Drehgriff, sitzt jetzt auf der Türkonsole, ist aber gut sicht- und greifbar. Dafür ist mehr Platz für Taster, um beispielsweise im Fahrbetrieb die Luftfederung zu bedienen. Und rechts neben dem Fahrer das Schubladensystem in der Mittelkonsole kennt man auch von anderen Produkten. Man muss ja nicht immer das Rad neu erfinden.
Jetzt noch ein Blick rundum und in die Spiegel: Im neuen Scania mit hohem S-Fahrerhaus thront der Fahrer in ziemlicher Höhe, sieht aber viel mehr als im Vorgänger.
Doch die Wahrheit liegt auf der Straße. Zuerst noch das Lenkrad justieren, im Scania darf es fast Pkw-steil stehen, und mit einer Drehung am rechten Lenkstockhebel auf Stellung "D" rückt der passende Anfahrgang ein. Dann die Feststellbremse lösen, sie arbeitet noch "old fashioned" pneumatisch und mit dem vertrauten Handhebel. Mit etwas Gas setzt sich der 60-Tonner in Bewegung.
Der neue Typ S 500 darf gleich bei der Einführungsrunde zeigen, was er drauf hat. Der achtachsige und rund 24 Meter lange Lastzug, eine skandinavische Spezialität, ist ja in Deutschland als Gigaliner verpönt. Er lässt sich aber einfach und sicher beherrschen, und erst recht, wenn eine neue Scania-Zugeinheit für den Vortrieb sorgt. Die 500 Scania-PS treten resolut an, bringen den schweren Lastzug rasch auf Transportgeschwindigkeit. Der auf maximal 2.550 Newtonmeter erstarkte Reihensechszylinder arbeitet sehr innig mit dem automatisierten Opticruise-Getriebe zusammen, das zügig die passenden Gänge serviert. Das Antriebsmenü wirkt stimmig, auch wenn die langen Achsübersetzungen den Vortrieb erschweren. Das Getriebe kommt jetzt ohne Synchronringe aus, hier etwas Einblick für den technisch Interessierten: Die Synchronisierung besorgt jetzt eine Bremse für die Vorgelegewelle, damit geht die Drehzahlanpassung der beiden Wellen schneller vonstatten. Am Reihensechszylinder wurde nicht sehr viel verändert, der thermostatisch geregelte Ölkreislauf wäre vielleicht ein Thema. Die Technik soll so einfach und so unkompliziert wie nur möglich sein, "so wollen es die Kunden", sagen die Scania-Strategen.
Das Fahrerlebnis spricht jedenfalls dafür. Die Motoren und Getriebe sind hohen Belastungen jederzeit gewachsen. Die drehmomentstarken Reihensechszylinder gehen mit 410, 450 und 500 PS an den Start, die aktuelle Euro 6-Abgasnorm erfüllen sie ausschließlich mit SCR-Katalysator und Partikelfilter. Nur bei den bärenstarken V8-Dieselmotoren, bis zu 730 PS sind möglich, kommt noch eine gekühlte Abgasrückführung zum Zug. Diese 16,4 Liter großen Triebwerke sind wirtschaftlich nur für höhere Transportgewichte vertretbar. Obwohl sie natürlich nicht reizlos wären: Sie klingen fantastisch, ohne je laut zu werden. Und ziehen können sie, das muss man neidlos anerkennen.
Geht es um die Straßenlage, steht ohnehin alles zum Besten. Die neuen Scania-Trucks folgen den Lenkbefehlen des Fahrers haargenau, besser kennen wir es von keinem Wettbewerber. Die fein austarierte Lenkung arbeitet noch ausschließlich mit hydraulischer Unterstützung, als Vorderachsen kommen noch klassische Starrachsen zum Zug. Sie wandern ein wenig nach vorn, der Radstand wächst marginal - aber hier bewirken wenige Zentimeter manchmal Wunder. Es gibt auch eine neue luftgefederte Vorderachse (natürlich starr) - eine geschobene Konstruktion. Ihre Anlenkpunkte sitzen hinter den Vorderrädern. Sie zeigt sich deutlich reaktionsfreudiger als die des Vorgängers, auch die neue 4-Balg-Luftfederung steckt vernachlässigte Fahrbahnen verbindlicher weg. Nach ein paar Kilometern und auf breiter Landstraße darf dann der GPS-Tempomat die Geschwindigkeit regeln. Alles fein abgestimmt, auch die Rollphasen - der neue Scania ist gewiss sparsam unterwegs. Und sicher: Mit größeren 30-Zoll-Bremszylindern soll der Bremsweg im Notfall um fünf Prozent kürzer ausfallen. Neben den gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitssystemen, dem Notbrems-Assistenten und dem Spurwarner, gibt Scania der neuen Fahrzeuggeneration Seitenairbags mit auf den Weg. Der soll den Fahrer im Falle des Umsturzes besser schützen - ein positiver Beitrag zu mehr Sicherheit.
Und dennoch bleibt die "Next Generation" einiges schuldig, einige Wettbewerber haben weit mehr zu bieten. Eine elektrifizierte Lenkung wäre so ein Beitrag Richtung Zukunft. Eine elektrische Feststellbremse wie bei Volvo oder ein Abbiege-Assistent wie bei Mercedes-Benz dürfte heute eigentlich auch nicht fehlen. So richtig innovativ ist der neue Scania also nicht, aber unverschämt gut zu fahren.
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Tibu
September 29, 2018 um 8:29 pm UhrHallo ich glaube der Vorgänger kam 1995 auf den Markt . Also
Wäre die Bauzeit 21 Jahre lang.