Nur einen Steinwurf von der Rennstrecke entfernt wurde die Botschaft unters Volk gebracht: „Wir sind zutiefst davon überzeugt, dass dies der Motorsport der Zukunft ist“, sagt Prof. Peter Gutzmer, Technikvorstand der Schaeffler AG.
Der eher als Automobilzulieferer bekannte und in Herzogenaurach beheimatete Technologie-Konzern hat sich still und leise zum Global Player des Elektro-Rennsports gemausert. Heute begleitet er das Team Abt Schaeffler Audi Sport beim zweiten E-Grand Prix auf deutschem Boden.
Auf der zum Motodrom umgebauten Karl-Marx-Allee in Berlin kämpfen heute die Fahrer der Strom-Boliden um Punkte und Platzierungen. Mit Lucas di Grassi und Daniel Abt sitzen zwei Piloten im Cockpit, denen Chancen auf den Titel nicht abzusprechen sind. Doch Schaeffler geht es nicht nur um Podestplätze und Pokale. Laut Gutzmer ist der Wettbewerb ein mehr als geeignetes Vehikel, um technische Lösungen für die massenhafte Elektromobilität zu gewinnen.
Außer um die Frage, wie aus elektrischer Energie am effizientesten eine mechanische gemacht werden kann, gehe es um Gewichts- und Thermomanagement, Getriebe- und Chassiskonzepte, ganz „wie bei den Verbrennern“. Kurzfristiger Erfolg sei zwar nicht unwillkommen, aber Schaefflers Strategie sei langfristig ausgelegt. Man wolle nicht nur „mitmachen und Meister werden“, sondern „gemeinsam mit Abt in der Rennserie präsent bleiben und Antriebskonzepte optimieren“.
Schaeffler Automotive beschäftigt sich seit rund 15 Jahren mit Elektromobilität und hatte schon 2002 ein erstes Konzeptauto in fahrbereiten Zustand versetzt. Wie zum Beispiel auch im VW-Konzern wird bei Schaeffler intensiv an der 48-Volt-Technologie geforscht und entwickelt, die in straßenzugelassenen Pkw weit mehr Möglichkeiten zur Anwendung von Fahr- und Assistenz-Systemen bietet, als das herkömmliche 12-Volt-Bordnetz.
Freilich weiß man bei Schaeffler ebenso wenig wie bei den großen Automobilkonzernen, wohin die Reise letztlich gehen wird. Prof. Gutzmer hält deshalb ein womöglich noch Jahrzehnte andauerndes Nebeneinander verschiedener Mobilitätslösungen für wahrscheinlich. Fahren mit reinem Batteriestrom hat in diesem Szenario ebenso seinen Platz wie die inzwischen recht verbreiteten Hybrid-Varianten. Der Technik-Vorstand rechnet zwar damit, dass in zehn bis 15 Jahren zwischen acht und 20 Prozent der verkauften Pkw rein elektrisch unterwegs sein werden und etwa sich 30 Prozent auf Hybrid-Konzepte stützen. Das bedeute aber gleichzeitig, dass rund die Hälfte der Neufahrzeuge weiterhin mit klassischen Verbrennungsmotoren auf den Markt kommen wird.
Erkenntnisgewinn ist von allen Seiten zu erwarten. In den Entwicklungen spielen Radnaben-motoren eine Rolle, für die E-Renner sind mehrgängige Getriebe fast schon Standard. Gutzmer sieht mehrere Faktoren, die für Formel-E-Rennen typisch sind, als hilfreich für die Gesamtentwicklung an. Der Verzicht auf Spezialstrecken, wie etwa in der Formel 1, fördere die sportliche Herausforderung und den Abstimmungsbedarf für die Fahrzeuge, die den gleichen Bedingungen ausgesetzt seien wie die Autos, die sonst die Stadtkurse bevölkern. Technische Veränderungen finden wegen des strengen Reglements nur bis zum ersten Rennen statt, während der Saison sind nur noch Weiterentwicklungen im Softwarebereich erlaubt.
Was den Massenmarkt angeht, sieht Gutzmer deshalb eine große Nähe zwischen dem Rennzirkus der Formel E und dem Nutzen für die individuelle Mobilität. Vorbehalte dagegen äußert der Schaeffler-Vorstand, was die Verbreitung und Bedeutung der Brennstoffzelle angeht. Sie sei im Moment bereits in der Herstellung teurer als Fortbewegung auf Basis von Batteriestrom und fordere überdies eine eigene Treibstoff-Infrastrktur, die ebenfalls nur kostspielig zu realisieren sei. Anerkennung zollte er dagegen dem Erfolg der amerikanischen Firma Tesla: „Das hat nicht nur mit den Produkten zu tun, sondern auch mit der Schaffung einer eigenen Infrastruktur.“
Der Fortschritt in der Elektromobilität beginnt bereits die klassische Rollenverteilung zwischen Automobilzulieferern und –herstellern zu verschieben. Während früher integrierte Produktion für die wichtigen Marken eine Selbstverständlichkeit war, sieht Gutzmer die Zulieferer mehr und mehr als Innovationstreiber, wodurch den Herstellern immer häufiger die Aufgabe zufalle, die entwickelten Systeme in ihre Produkte zu integrieren. „Wir sind überzeugt“, stellte Gutzmer gestern vor Pressevertretern klar, „dass Elektro-Mobilität ein Wachstumsmarkt ist“.
Auf dem knapp zwei Kilometer langen Kurs im Herzen der deutschen Hauptstadt wird das Team Abt Schaeffler Audi Sport an diesem Wochenende versuchen, die technologische Kompetenz durch Erfolge auf der Strecke zu untermauern. Die fünf Meter langen und im Qualifying 200 kW starken Elektro-Renner dürften auf der langen Geraden etwa 200 km/h erreichen – aber niemandes Gehör schädigen. Dass Lucas di Grassi besonders motiviert an den Start gehen wird, ist anzunehmen. Nach seinem Berliner Premieren-Sieg im vergangenen Jahr wurde er kurze Zeit danach disqualifiziert.
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