Schubumkehr

Schubumkehr – Rasen nur noch auf dem Auto-Spielplatz

„Schubumkehr in die Zukunft“ von Stephan Rammler. Bilder

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Kurz vor dem Jahreswechsel hat der Braunschweiger Mobilitätsforscher Stephan Rammler ein neues Buch veröffentlicht. Unter dem Titel „Schubumkehr“ beleuchtet er Aspekte der Mobilität, der er fundamentale Bedeutung für unsere arbeitsteilige Ökonomie zumisst. Wie wichtig Mobilität für den privaten Lebensstil ist, weiß der Wissenschaftler aus eigener Erfahrung: Mit der Bahn pendelt der bekennende Veganer zwischen seinem Wohnort Berlin und dem Arbeitsort Braunschweig. Vor dem Erscheinen seines Buchs äußerte sich Rammler im Interview zur gesellschaftlichen Bedeutung des Autos, der Wirkung von Design sowie zu seinen Erwartungen an die Zukunft der individuellen Mobilität. Aus Sicht von Stephan Rammler ist Mobilität extrem produkt- und ressourcenintensiv und stellt eine der großen Zukunftsherausforderungen dar. Angesichts einer wachsenden Weltbevölkerung, so beschreibt er es in seinem Buch, und knapper Ressourcen sei klar: Wir brauchen eine drastische Richtungsänderung, eben eine Schubumkehr. Stephan Rammler entwickelt das Bild einer Zukunft mit innovativen Technologien, klugen ökonomischen Strategien und einer veränderten politischen Kultur.
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„Mein Haus, mein Auto, mein Boot“. Das ist zu einem geflügelten Wort geworden. 1998 spielte eine Sparkassenwerbung mit der Bedeutung solcher Statussymbole. Welche Bedeutung hat das Auto heute für die soziale Standortbestimmung von Menschen?

Prof. Dr. Stephan Rammler: Wenn man von der gesellschafts-wissenschaftlichen Bedeutung des Automobils spricht, kann man im Wesentlichen drei Funktionen dieses Produkts unterscheiden. Zunächst hat es eine Transportfunktion. Dann gibt es eine symbolische Funktion, wie Sie sie meinen. Das Produkt, das ich nutze und zeige, soll einen Teil meiner Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Das kann der soziale Status sein, aber auch eine bestimmte Milieu-Zugehörigkeit. Opel Manta und Fuchsschwanz beispielsweise waren Chiffren solch einer Milieu-Bestimmung. Die dritte Dimension ist die ästhetische. Bestimmte Leute kaufen bestimmte Autos, weil sie sie einfach schön finden. So entstehen Design-Ikonen, wie etwa der Citroën DS.

Die Designer von Autoherstellern behaupten gern, dass die Kaufentscheidung eines Kunden zu 50 oder mehr Prozent vom Design bestimmt wird. Ist das durch Ihre Erfahrungen oder Forschungen belegbar?

Rammler: Das halte ich für durchaus realistisch, weil die Produkte sich technologisch immer ähnlicher werden. Vor 15 oder 20 Jahren gab es noch substanzielle Unterschiede in der Qualität zum Beispiel eines Daimlers und etwa eines asiatischen Produkts. Mittlerweile sind diese Unterschiede aufgrund von global einheitlichen Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsstrukturen weitgehend verschwunden. Die Unterscheidung zwischen den Marken findet heute über das Design statt, gleichzeitig dient es der Identifikation. Deshalb darf sich zum Beispiel ein neuer Golf sich nicht zu sehr vom vorigen unterscheiden. Die Kunden dürfen nicht verschreckt werden. Im Massenmarkt ist das Design immer eher konservativ.

Ist die Bedeutung des Automobils für die soziale Standortbestimmung gewachsen oder eher geringer geworden?

Rammler: Wenn ich mir den aktuellen Forschungsstand ansehe, neige ich zu der Ansicht, dass es einen tendenziellen Bedeutungsverlust des Automobils gibt. Nicht so sehr bei den älteren Zielgruppen, da spielt das nach wie vor eine Rolle, aber bei denen, die jetzt Führerschein machen und auch den 20-30jährigen, ist das Automobil weniger ein Produkt der Selbststilisierung. Natürlich muss man dabei aber auch räumlich differenzieren.

Welche Rolle spielt das Lebensalter bei der Einstellung gegenüber dem Automobil?

Rammler: Eine große. Die sogenannten Silverager sind nach wie vor stark geprägt durch ihre automobile Sozialisation in den 50er und 60er Jahren. Sie fahren weiterhin Auto und lassen sich auch nicht davon abbringen. Sie haben sich vor langer Zeit ein Eigenheim geschaffen und leben in Siedlungsstrukturen, die gar nicht funktionieren ohne Automobil.

Und die jüngeren brauchen das Auto nicht mehr, weil sie alle ein iPhone haben?

Rammler: Ja, das ist so eine gängige These, aber es wäre zu einfach gedacht. Oft liegt es auch daran, dass viele junge Menschen in urbanen Ballungsräumen leben und dort brauchen sie einfach kein Auto mehr, zum Beispiel weil die Angebotsqualität der öffentlichen Nahverkehre so gut ausgebaut ist. Dazu kommt, dass die jungen Menschen in bestimmten Milieus einfach das Geld nicht mehr haben. Und, tatsächlich, ein iPhone benutze ich in öffentlichem Raum und wenn es das neueste Modell ist, kann ich mit diesem symbolischen Konsum ebenfalls eine soziale Verortung vornehmen. Das alles zusammengenommen, trägt zur Entzauberung des Automobils bei.

Grundsätzlich sollte man bei dieser Frage zwischen dem Besitz und der Nutzung des Automobils unterscheiden. In urbanen Milieus spielt der Besitz nur noch eine untergeordnete Rolle, denn sie brauchen das Auto nicht mehr. Privater Besitz eines Autos ist in solch einem Umfeld nur noch unökonomisch. Die Nutzung eines Autos kann ich mir über die verschiedenen Carsharing-Angebote bequem organisieren und mein Smartphone hilft mir von der Bestellung bis zur Abrechnung.

In letzter Zeit versuchen die Hersteller in verstärktem Maße, Internetfunktionen ins Auto zu integrieren, um für die Nutzer Möglichkeiten der Teilhabe an sozialen Netzwerken und an anderen Diensten auch während der Fahrt zu ermöglichen. Sind dies Versuche, das Produkt Auto für diese jüngere Zielgruppe attraktiv zu halten?

Rammler: Natürlich muss die Autoindustrie darauf reagieren, was die sozialen Medien an neuen Schritten unternehmen. Für moderne junge Leute gehören diese Kommunikationsmöglichkeiten und sozialen Funktionen zur Organisation ihres Alltags dazu. Das wollen sie natürlich auch in der Mobilität haben.

Das mag für Ballungsräume in Industriegesellschaften gelten. In ländlichen Gebieten und in anderen Regionen der Welt gilt das doch nicht in dem Maße?

Rammler: Richtig. In ländlichen Gebieten wird auch zukünftig gelten, dass der private Besitz des Autos Mobilität erhält, auch für junge Zielgruppen. Was die Entwicklung außerhalb Europas angeht, bin ich mir nicht ganz sicher, wohin die Reise geht. Ich glaube in der Tat, dass diese Gesellschaften ein Stück weit anders handeln können, als wir es konnten. Mir scheint es denkbar, dass aufgrund der schon jetzt vorhandenen Situation in Ballungszentren wie Singapur oder Hongkong das Stadium des individuellen Besitzes von Fahrzeugen übersprungen werden kann. Schon heute legt die Verkehrssituation dort nahe, auf ein eigenes Auto zu verzichten und stattdessen Sharing-Angebote zu nutzen.

Wenn das so eintritt, bedeutet das langfristig, dass man sich Sorgen um den Absatz der Produktion machen muss? Der Markt nimmt dann nicht mehr so viele Fahrzeuge auf, wie es in der Vergangenheit der Fall war. Müssen wir um unseren Wohlstand fürchten, weil unsere Autoindustrie nicht mehr so gut verdient?

Rammler: Wir laufen auf ein großes Risiko zu, wenn nicht entsprechend gehandelt wird. Weiterhin auch in Entwicklungsländern Autos zu verkaufen bis zum Sättigungspunkt und dann zu sagen: „Hm, das haben wir aber nicht geahnt“, wäre naiv. Besser wäre es, diese wahnsinnigen Gewinne, die im Moment abgegriffen werden, zu nutzen, um alternative Geschäftsmodelle zu entwickeln.

Wenn wir uns an die 70er Jahre, Ölkrise und Fahrverbote erinnern, kommt die Steuerungsfunktion der Politik für die Ausgestaltung individueller Mobilität ins Spiel. Können Sie sich solche massiven Eingriffe in die individuelle Lebensgestaltung auch heute vorstellen, um Menschen zum Umdenken zu bewegen?

Rammler: Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, dass eine Politik sich traut, so harte regulative Maßnahmen zu ergreifen, ohne dass ein krisenhafter Sinnzusammenhang vorhanden ist. Die Maßnahmen damals waren nicht ökologisch motiviert, sondern aus einem wirtschaftlichen Defizit heraus. Öl musste gespart werden, weil anders die Ökonomie nicht am Laufen zu halten war. Ökologisch wären heute solche Maßnahmen zwar durchaus begründbar, aber politisch lässt sich das nicht durchhalten.

Wird das Auto womöglich zu einem reinen Freizeitobjekt, das man sich aus Spaß gönnt, so wie Skier oder eine Tauchausrüstung? Gibt die Oldtimer-Szene und die damit verbundene Pflege von Automobilkultur Hinweise in diese Richtung?

Rammler: Ich habe in einem Aufsatz die Idee von „Tempodromen“ beschrieben. Aus ehemaligen Teststrecken, Übungsgeländen oder stillgelegten Teilstrecken von Autobahnen werden Orte gut dosierten Geschwindigkeitsgenusses. Gegen Eintritt kann man dort Elektroautos, E-Motorräder oder Rennwagen mit Wasserstoff-Verbrennungsmotor ausleihen und mit hohen Geschwindigkeiten ausfahren. So können die Leute in der Zukunft den alten Angstkitzel schneller Autobahnfahrten wieder heraufbeschwören. Solch ein Spielplatz für Erwachsene würde es ermöglichen, als Freizeitvergnügen hin und wieder schnell fahren zu können. In solchen Szenarien bekommt das Autofahren wieder einen elitären Charakter, so wie es ihn schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte.

Nach wie vor scheint Rennsport für Hersteller ein wichtiger Faktor zur Imagebildung zu sein. Funktioniert das noch oder werden die Menschen nicht immer skeptischer gegenüber solcher PS-Protzerei und Ressourcenverschwendung?

Rammler: Auch hier sehe ich keine eindeutigen Antworten. Es wird Überlagerungsprozesse geben. Eine Gruppe wird weiter einen rationalen Umgang mit dem Automobil pflegen, eine andere eher den leidenschaftlichen Umgang und es gibt Mischformen. Auch Menschen, die unter der Woche vernunftbetont und ökologisch orientiert leben, könnten sich die Frage stellen, warum soll ich nicht am Wochenende meiner alten Fahrleidenschaft frönen? Ich bin selbst ein Beispiel dafür, dass der individuelle Umgang mit dem Auto immer wieder von Brechungen geprägt ist: Ich lebe vegan, nutze den öffentlichen Personenverkehr und vermeide Flugreisen, wenn ich kann, aber ich bin ein Liebhaber des Autos und leihe mir gern mal einen Klassiker aus, um am Wochenende einfach nur damit herum zu fahren.

Stephan Rammler, geboren 1968, ist Professor für Transportation Design & Social Sciences an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Als Gründer des Instituts für Transportation Design sind seine Arbeitsschwerpunkte die Mobilitäts- und Zukunftsforschung. Zu Fragen kultureller Transformation und zukunftsfähiger Umwelt- und Gesellschaftspolitik hat er ebenso publiziert wie zu Verkehrs-, Energie- und Innovationspolitik.

„Schubumkehr – Die Zukunft der Mobilität“
Stephan Rammler
S. Fischer Verlag
ISBN: 978-3-596-03079-8
12,99 Euro

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