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Schubumkehr
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Prof. Dr. Stephan Rammler: Wenn man von der gesellschafts-wissenschaftlichen Bedeutung des Automobils spricht, kann man im Wesentlichen drei Funktionen dieses Produkts unterscheiden. Zunächst hat es eine Transportfunktion. Dann gibt es eine symbolische Funktion, wie Sie sie meinen. Das Produkt, das ich nutze und zeige, soll einen Teil meiner Persönlichkeit zum Ausdruck zu bringen. Das kann der soziale Status sein, aber auch eine bestimmte Milieu-Zugehörigkeit. Opel Manta und Fuchsschwanz beispielsweise waren Chiffren solch einer Milieu-Bestimmung. Die dritte Dimension ist die ästhetische. Bestimmte Leute kaufen bestimmte Autos, weil sie sie einfach schön finden. So entstehen Design-Ikonen, wie etwa der Citroën DS.
Rammler: Das halte ich für durchaus realistisch, weil die Produkte sich technologisch immer ähnlicher werden. Vor 15 oder 20 Jahren gab es noch substanzielle Unterschiede in der Qualität zum Beispiel eines Daimlers und etwa eines asiatischen Produkts. Mittlerweile sind diese Unterschiede aufgrund von global einheitlichen Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionsstrukturen weitgehend verschwunden. Die Unterscheidung zwischen den Marken findet heute über das Design statt, gleichzeitig dient es der Identifikation. Deshalb darf sich zum Beispiel ein neuer Golf sich nicht zu sehr vom vorigen unterscheiden. Die Kunden dürfen nicht verschreckt werden. Im Massenmarkt ist das Design immer eher konservativ.
Rammler: Wenn ich mir den aktuellen Forschungsstand ansehe, neige ich zu der Ansicht, dass es einen tendenziellen Bedeutungsverlust des Automobils gibt. Nicht so sehr bei den älteren Zielgruppen, da spielt das nach wie vor eine Rolle, aber bei denen, die jetzt Führerschein machen und auch den 20-30jährigen, ist das Automobil weniger ein Produkt der Selbststilisierung. Natürlich muss man dabei aber auch räumlich differenzieren.
Rammler: Eine große. Die sogenannten Silverager sind nach wie vor stark geprägt durch ihre automobile Sozialisation in den 50er und 60er Jahren. Sie fahren weiterhin Auto und lassen sich auch nicht davon abbringen. Sie haben sich vor langer Zeit ein Eigenheim geschaffen und leben in Siedlungsstrukturen, die gar nicht funktionieren ohne Automobil.
Rammler: Ja, das ist so eine gängige These, aber es wäre zu einfach gedacht. Oft liegt es auch daran, dass viele junge Menschen in urbanen Ballungsräumen leben und dort brauchen sie einfach kein Auto mehr, zum Beispiel weil die Angebotsqualität der öffentlichen Nahverkehre so gut ausgebaut ist. Dazu kommt, dass die jungen Menschen in bestimmten Milieus einfach das Geld nicht mehr haben. Und, tatsächlich, ein iPhone benutze ich in öffentlichem Raum und wenn es das neueste Modell ist, kann ich mit diesem symbolischen Konsum ebenfalls eine soziale Verortung vornehmen. Das alles zusammengenommen, trägt zur Entzauberung des Automobils bei.
Grundsätzlich sollte man bei dieser Frage zwischen dem Besitz und der Nutzung des Automobils unterscheiden. In urbanen Milieus spielt der Besitz nur noch eine untergeordnete Rolle, denn sie brauchen das Auto nicht mehr. Privater Besitz eines Autos ist in solch einem Umfeld nur noch unökonomisch. Die Nutzung eines Autos kann ich mir über die verschiedenen Carsharing-Angebote bequem organisieren und mein Smartphone hilft mir von der Bestellung bis zur Abrechnung.
Rammler: Natürlich muss die Autoindustrie darauf reagieren, was die sozialen Medien an neuen Schritten unternehmen. Für moderne junge Leute gehören diese Kommunikationsmöglichkeiten und sozialen Funktionen zur Organisation ihres Alltags dazu. Das wollen sie natürlich auch in der Mobilität haben.
Rammler: Richtig. In ländlichen Gebieten wird auch zukünftig gelten, dass der private Besitz des Autos Mobilität erhält, auch für junge Zielgruppen. Was die Entwicklung außerhalb Europas angeht, bin ich mir nicht ganz sicher, wohin die Reise geht. Ich glaube in der Tat, dass diese Gesellschaften ein Stück weit anders handeln können, als wir es konnten. Mir scheint es denkbar, dass aufgrund der schon jetzt vorhandenen Situation in Ballungszentren wie Singapur oder Hongkong das Stadium des individuellen Besitzes von Fahrzeugen übersprungen werden kann. Schon heute legt die Verkehrssituation dort nahe, auf ein eigenes Auto zu verzichten und stattdessen Sharing-Angebote zu nutzen.
Rammler: Wir laufen auf ein großes Risiko zu, wenn nicht entsprechend gehandelt wird. Weiterhin auch in Entwicklungsländern Autos zu verkaufen bis zum Sättigungspunkt und dann zu sagen: „Hm, das haben wir aber nicht geahnt“, wäre naiv. Besser wäre es, diese wahnsinnigen Gewinne, die im Moment abgegriffen werden, zu nutzen, um alternative Geschäftsmodelle zu entwickeln.
Rammler: Ich kann mir im Moment nicht vorstellen, dass eine Politik sich traut, so harte regulative Maßnahmen zu ergreifen, ohne dass ein krisenhafter Sinnzusammenhang vorhanden ist. Die Maßnahmen damals waren nicht ökologisch motiviert, sondern aus einem wirtschaftlichen Defizit heraus. Öl musste gespart werden, weil anders die Ökonomie nicht am Laufen zu halten war. Ökologisch wären heute solche Maßnahmen zwar durchaus begründbar, aber politisch lässt sich das nicht durchhalten.
Rammler: Ich habe in einem Aufsatz die Idee von „Tempodromen“ beschrieben. Aus ehemaligen Teststrecken, Übungsgeländen oder stillgelegten Teilstrecken von Autobahnen werden Orte gut dosierten Geschwindigkeitsgenusses. Gegen Eintritt kann man dort Elektroautos, E-Motorräder oder Rennwagen mit Wasserstoff-Verbrennungsmotor ausleihen und mit hohen Geschwindigkeiten ausfahren. So können die Leute in der Zukunft den alten Angstkitzel schneller Autobahnfahrten wieder heraufbeschwören. Solch ein Spielplatz für Erwachsene würde es ermöglichen, als Freizeitvergnügen hin und wieder schnell fahren zu können. In solchen Szenarien bekommt das Autofahren wieder einen elitären Charakter, so wie es ihn schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte.
Rammler: Auch hier sehe ich keine eindeutigen Antworten. Es wird Überlagerungsprozesse geben. Eine Gruppe wird weiter einen rationalen Umgang mit dem Automobil pflegen, eine andere eher den leidenschaftlichen Umgang und es gibt Mischformen. Auch Menschen, die unter der Woche vernunftbetont und ökologisch orientiert leben, könnten sich die Frage stellen, warum soll ich nicht am Wochenende meiner alten Fahrleidenschaft frönen? Ich bin selbst ein Beispiel dafür, dass der individuelle Umgang mit dem Auto immer wieder von Brechungen geprägt ist: Ich lebe vegan, nutze den öffentlichen Personenverkehr und vermeide Flugreisen, wenn ich kann, aber ich bin ein Liebhaber des Autos und leihe mir gern mal einen Klassiker aus, um am Wochenende einfach nur damit herum zu fahren.
Stephan Rammler, geboren 1968, ist Professor für Transportation Design & Social Sciences an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig. Als Gründer des Instituts für Transportation Design sind seine Arbeitsschwerpunkte die Mobilitäts- und Zukunftsforschung. Zu Fragen kultureller Transformation und zukunftsfähiger Umwelt- und Gesellschaftspolitik hat er ebenso publiziert wie zu Verkehrs-, Energie- und Innovationspolitik.
„Schubumkehr – Die Zukunft der Mobilität“
Stephan Rammler
S. Fischer Verlag
ISBN: 978-3-596-03079-8
12,99 Euro
geschrieben von AMP.net/Sm veröffentlicht am 29.12.2014 aktualisiert am 29.12.2014
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