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Es kommt eher selten vor, dass ein Bundestagsabgeordneter der Linkspartei einem Konzern die Stange hält, der den real existierenden Kapitalismus so stark repräsentiert wie Mercedes Benz.
Nicht so Ralph Lenkert aus Jena. Wenn die Rede auf das umstrittene Klimaanlagen-Kältemittel R1234yf kommt, dann steht der Politiker wie eine Eins hinter dem Klassenfeind. „Es war verantwortungsvoll von Daimler“, so lobte Lenkert kürzlich den Stuttgarter Autobauer, „sich als weltweit erster Hersteller gegen R1234yf zu entscheiden, nachdem durch Praxisversuche die Gefährdung von Menschenleben durch die Verwendung dieses Kältemittels bewiesen wurde.“
Als erster deutscher Hersteller hatte Mercedes Benz zwischen September 2011 und Mai 2012 das neue Kältemittel R1234yf in den Klimaanlagen der SL-Baureihe eingesetzt. Doch die Fahrzeuge – in Deutschland traf es 705 Sportwagen – ereilte im vergangenen Oktober genau deswegen eine Rückrufaktion. Mercedes hatte sich nämlich nach aufwändigen Versuchen dazu entschieden, ab sofort nicht mehr das Kältemittel 1234yf zu verwenden, sondern statt dessen wieder auf das herkömmliche Kühlmittel R134a zu setzen. In praxisnahen Tests, bei denen undichte Kühlschläuche simuliert worden waren, hatte sich das neue Kühlgas im heißen Motorraum entzündet und in hochgiftige, ätzende Flusssäure verwandelt.
Über Nacht geriet damit die gesamte Automobilindustrie unter Zugzwang. Es galt, sich zwischen Pest und Cholera, genauer: zwischen der Belastung der Umwelt einerseits und möglicher Lebensgefahr nach Unglücken für Unfallopfer ebenso wie für Helfer andererseits zu entscheiden – zum Beispiel Feuerwehrleute, Polizisten und Rettungssanitäter. Denn Flusssäure hat es in sich: Bereits eine handtellergroße Verätzung durch auf 40 Prozent verdünnte Säure ist in aller Regel tödlich. Als besonders gefährlich kommt hinzu, dass ein warnender Schmerz oft erst mit einer Verzögerung von mehreren Stunden auftritt. Schmerzstillende Mittel, selbst Morphium, sind dann aber fast wirkungslos.
Dass es mit dem bislang in Klimaanlagen eingesetzten Kältemittel R134a auf Dauer nicht weitergehen konnte, wurde spätestens im Dezember 1997 bei der Verabschiedung des Kyoto-Protokolls zum Klimaschutz klar. Die Industriestaaten hatten sich damals verpflichtet, ihre gemeinsamen Emissionen der sechs wichtigsten Treibhausgase im Zeitraum 2008 bis 2012 um 5,2 Prozent unter das Niveau von 1990 zu senken.
Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW), wozu auch R134a gehört, gelten als besonders rabiate Klimakiller. Sie tragen nicht nur die Verantwortung für die beiden Ozonlöcher über Nord- und Südpol, sie sind zudem erheblich an der Entstehung des Treibhauseffekts beteiligt, weshalb sie schon vor Jahren als Kältemittel aus Kühlschränken oder Treibgase aus Spraydosen verbannt wurden.
Dazu muss man wissen, dass die Klimaschädlichkeit eines Stoffes als GWP-Wert (Global Warming Potential) angegeben wird. Als Vergleichswert und Bezugsgröße dient Kohlendioxid (CO2) mit einem GWP-Wert von 1. FCKW-Gase schädigen das Klima zwischen 100 bis 24 000 mal so stark wie CO2. Das traditionell in Autoklimaanlagen verwendete Gas R134a hat einen GWP-Wert von 1430.
Drei Monate nach der Klimakonferenz von Kyoto machte sich Mercedes für die Entwicklung ökologischer Klimaanlagen mit CO2 als Kältemittel stark, was nicht nur zur Schonung der Umwelt beitragen, sondern außerdem Service und Recycling erheblich vereinfachen würde.
Danach passierte jedoch einige Jahre so gut wie nichts, bis angesichts der zunehmenden Klimabelastung durch die immer populärer werdenden Fahrzeug-Klimaanlagen 2003 der Verband der Automobilindustrie (VDA) und ein Jahr später gleich mehrere Institutionen wie das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie, das Umweltbundesamt sowie einige Zulieferbetriebe das Thema CO2 als Kältemittel hierzulande wieder ins Gespräch brachten. Spätestens 2009, so hieß es damals, könnte diese Technik serienreif sein.
Da sich auch in der Folge nur wenig tat, machte das Europäische Parlament 2006 kurzen Prozess und mischte sich in die Diskussion mit der EG-Verordnung Nr. 842/2006 ein. Die sah vor, für nach dem 1. Januar 2011 typgeprüfte Autos in deren Klimaanlagen nur noch Kältemittel mit einem GWP-Wert von maximal 150 zu erlauben. Dafür standen allerdings zu jenem Zeitpunkt lediglich CO2 und das hochentzündliche Gas R152a zur Verfügung; blieb also als einzige Alternative das Kohlendioxid. Zwei Jahre später jedoch präsentierten die beiden US-Chemiekonzerne Honeywell und Dupont auf dem Branchentreffen des VDA ein neues Kühlmittel namens Tetrafluorpropen (Handelsname: R1234yf) mit dem – abgesehen von CO2 – unschlagbarem GWP-Wert von 4. Hin- und hergerissen zwischen CO2 und R1234yf zeigte sich in der Folge der VDA. Mal hü pro natürliches und gleichzeitig billiges Kohlendioxid, mal hott pro chemisch erzeugtes Kältegas. Die Autoindustrie hielt sich derweil vornehm bedeckt, liebäugelte aber mit R1234yf. Nicht nur, weil Honeywell und Dupont enge Zusammenarbeit versprachen – das Kühlmittel der Amerikaner erforderte im Gegensatz zu CO2-betriebenen Klimaanlagen für Pkw keine nennenswerten technischen Neukonstruktionen, während die mit Kohlendioxid arbeitenden Aggregate damals noch in den Kinderschuhen steckten und erhebliche Kosten bei der Entwicklung absehbar waren. Zudem war die Zeit viel weit fortgeschritten, um deren Serienreife bis zum Januar 2011 zu garantieren.
Da sich aber der Bau der neuen Fabrik von Honeywell und Dupont in China verzögerte, wo das R1234yf produziert werden sollte, bekam die Automobilindustrie schließlich eine Schonfrist und die Erlaubnis, das herkömmliche Mittel R134a bis Ende 2012 in neu typgeprüften Pkw weiter zu verwenden.
Doch damit ist – zumindest auf dem Papier – seit dem 1. Januar 2013 Schluss. In Wirklichkeit aber halten sich zur Zeit lediglich asiatische Autobauer wie Hyundai, Kia und Mazda an die Richtlinie der Europäischen Gemeinschaft. Die deutschen Unternehmen hatten bis auf Mercedes in weiser Voraussicht geplante Neuheiten vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) schon vor dem 1. Januar 2011 prüfen lassen, so dass sie auch weiterhin das alte R134a verwenden dürfen. Vorerst ist nur Daimler der Gelackmeierte. Schlimmstenfalls könnte den Schwaben passieren, die Typgenehmigung durch das KBA zu verlieren. Harmloser wäre dagegen eine Strafe von 665 Euro für jedes Auto, das rechtswidrig mit dem alten Mittel R134a ausgeliefert wird. So lautet der EU-typische Tarif bei ähnlichen Verfehlungen bei CO2-Vorschriften.
Mit einem Antrag an die Brüsseler EU-Kommission und der Bitte um Verlängerung der Schonfrist bissen Bundesregierung und Verband der Automobilindustrie auf Granit. Die Kommission forderte das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) außerdem auf, alle neu zertifizierten Modelle mit dem seit 1. Januar 2013 verbotenen R134a zu benennen und darzulegen, „was die Behörde zu tun gedenke, um die Konformität mit dem Gesetz wiederherzustellen“. Doch ein Schlupfloch ließ die EU-Kommission offen: In ihrem Brief erbittet sie vom KBA weitere Belege, welche die Sicherheitsbedenken gegen R1234yf fundiert begründen. Eine Frist setzte die EU-Kommission dem KBA dafür nicht.
Jüngst meldete sich auch der ADAC zu Wort und empfahl, Klimaanlagen mit dem natürlichen Gas/Kältemittel CO2 als besonders umweltfreundliche und sichere Alternative weiter zu entwickeln und so schnell wie möglich in den Markt zu bringen. Diese Lösung wird auch von BMW, Audi, VW und sogar vom Umweltbundesamt unterstützt. Eine etwaige Erhöhung der Brandgefahrdurch das Kältemittel R1234yf, so der ADAC, könne aus Gründen der bestmöglichen Sicherheit nicht akzeptiert werden.
Der Bundestagsabgeordnete Ralph Lenkert, laut Thüringischer Landeszeitung “ einsamer Kämpfer“ gegen R1234yf, sagt „Ich beobachte momentan einen Krieg zwischen jenen, die die Gefährlichkeit des neuen Mittels begreifen und jenen, denen das Wohl der Chemiekonzerne Honeywell und Dupont mehr am Herzen liegt. Ich bin überzeugt, dass sich mehr Hersteller gegen das neue Mittel entscheiden.“
Adam Opel Mokka: 10. Juli 2012
Citroen C4 Picasso: 24. Oktober 2012
Mercedes-Benz B-Klasse: 3. August 2011
Mercedes-Benz SL: 4. November 2011
Mercedes-Benz A-Klasse: 8. Juni 2012
Alfa Romeo 4C: 24.Oktober 2012
Fisker Karma: 14. Februar 2012
Ford C-Max: 27. Januar 2012*
Ford Focus: 1. Februar 2012*
Ford Tourneo-/Transit-Custom: 25. August 2012*
Chevrolet Malibu: 26. Oktober 2011
Great Wall Voleex C30: 9. November 2011
Great Wall Haval 6, Hover H6: 21. September 2012
Hyundai i30: 25. November 2011
Hyundai ix45, Santa Fe: 11. Mai 2012
Kia Cee`d: 17.Februar 2012
Kia Sorento: 1. Juni 2012
Kia Cerato, Forte: 28. September 2012
Kia Carens, Rombo: 6. Oktober 2012
Land Rover Range Rover: 8. Juni 2012
Lotus Cars: 5. Oktober 2012
Mazda CX-5: 8. November 2011
Nissan Pathfinder: 16. Februar 2012
Subaru XV: 15. Juli 2011
Subaru Impreza: 15. Juli 2011
Subaru BRZ: 6. März 2012
Lexus GS250: 24. Januar 2012*
Lexus GS450h: 21. Februar 2012
Toyota GT86: 6. März 2012
Toyota Prius Plus: 15. März 2012
*Die Typzulassung dieser Modelle wurde nachträglich auf das Jahr 2010 vordatiert, da es sich um Varianten längst genehmigter Baureihen handelte.
geschrieben von auto.de/(ampnet/hrr) veröffentlicht am 06.03.2013 aktualisiert am 06.03.2013
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