Die Wiege des sportlichsten Ford Focus liegt zwar in England, doch mit "British Understatement" hat er nichts am Hut. Denn statt vornehmer Zurückhaltung legt der RS einen extrovertierten, fast schon halbstarken Auftritt hin. Seine 350 PS Leistung bringt er - anders als der Vorgänger - jetzt per Allradantrieb mühelos auf die Straße.
Riesige Lufteinlässen vorne, breite Kotflügel und Schweller, ein gewaltiger Heckspoiler und ein schwarz abgesetzter Diffusor: All dies sind nicht nur optische Spielerein, die signalisieren, dass hier ein äußerst sportlicher Vertreter der Kompaktklasse daher kommt. Vielmehr folgt hier die Form der Funktion. Die Front wurde fast durchgehend geöffnet, um den Motor sowie die Bremsen mit ausreichend Frischluft zu versorgen. Die Kotflügel sind ausgestellt, damit die 235er Reifen möglichst weit nach außen rücken können. Der Rest sorgt wirkungsvoll dafür, den mit steigender Geschwindigkeit wachsenden Fliehkräften entgegenzuwirken.
Und die Geschwindigkeit steigt im Focus RS atemberaubend schnell. In 4,7 Sekunden beschleunigt der drehfreudige Vierzylinder-Turbo den 1.529 Kilo schweren Kölner auf 100 km/h. Ein toller Wert, wenn man bedenkt, dass der Focus mit einem Handschaltgetriebe ausgestattet ist und entsprechend auf technische Spielereien wie eine "Launch Control" verzichten muss. Da ist ein sensibler Umgang mit Gas und Kupplung gefragt. Am Ende der Beschleunigung steht eine theoretische Höchstgeschwindigkeit von 266 km/h, die im alltäglichen Gebrauch kaum eine Bestätigung finden wird.
Das ist auch nicht das eigentliche Ziel, wenn Ford seinem Focus Beine macht. Er ist nicht für die gebaut, denen es am meisten Spaß macht, auf der Autobahn geradeaus zu fahren, sondern für jene, die sich gerne in Kurven beweisen. Wer ausprobieren will, ob Mensch und Maschine dabei als Partner gut zusammenpassen, sollte das aber möglichst auf einer abgesperrten Rennstrecke tun. Denn erstens sind Fahrten im Grenzbereich nichts für den normalen Straßenverkehr und zweitens braucht der Focus RS einen Mindeststandard an Straßenqualität, um sein Potenzial auszuschöpfen. Denn bei Antrieb und Fahrwerk haben die Entwickler auf Kompromisse verzichtet.
Der Motor bietet zwar schon bei 2.000/min seine maximalen 440 Nm Drehmoment an, die volle Turbo-Power von 350 PS gibt es aber erst mit 6.000/min. Zum Glück haben die Ford-Ingenieure die Experimente früherer RS-Modelle eingestellt, diese Kraft nur über die Vorderräder abzugeben. Stattdessen bieten sie mit dem Generationswechsel einen Vierradantrieb an, der den Charakter erhält, die Traktion aber optimiert. Grundsätzlich bleibt der RS ein Fronttriebler, solange an der Vorderachse kein Schlupf entsteht. Entsprechend kann früh in der Kurve wieder ans Gas gegangen werden, weil der Wagen wie am Schnürchen aus der Ecke gezogen wird. Ringen die Reifen aber um Haftung, können bis zu 70 Prozent der Leistung an die Hinterräder gehen. Dann fängt das Heck leicht zu schieben an, was die Einlenkdynamik genau dann erhöht, wenn sie gebraucht wird.
Wie dynamisch sich der RS verhält, lässt sich in drei Stufen wählen. Das Ansprechverhalten des 2,3 Liter großen Motors wird bei "Normal", "Sport" und "Track" spürbar verändert. Das Fahrwerk variiert zwischen hart, härter und am härtesten. Wirklich komfortabel ist keine dieser Einstellungsmöglichkeiten. "Track" macht auf Land- und Bundesstraßen keinen Sinn, weil der Focus dort jede Unebenheit erbarmungslos weitergibt. Komfort ist nicht die stärkste Disziplin des Focus RS. Ob er als Familienfahrzeug taugt, muss an der Leidensfähigkeit der jeweiligen Familie getestet werden. Das Platzangebot ist akzeptabel, wenn man sich auf vier Insassen beschränkt. Die 260 Liter Kofferraumvolumen laufen eher unter "hinnehmbar".
Wer diesen Wagen will, gibt die 40.000 Euro für einen uneingeschränkt sportlichen Wagen aus und nimmt dann auch den hohen Testverbrauch von 12,2 Liter auf 100 Kilometer in Kauf. Kompromisslose Sportlichkeit hat eben ihren Preis.