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Sprit ist nicht gleich Sprit. Mit ihrem rollenden Labor holen die Kraftstoff-Designerin Lisa Lilley und ihr Team an jedem Formel-1-Wochenende das letzte Quäntchen Leistung aus dem Benzin des Ferrari-Teams heraus. Dabei darf sie höchstens ein Prozent der Zusammensetzung ändern – ansonsten droht ihrem Team die Disqualifikation. Für die Kraftstoff-Experten beginnt das Rennwochenende schon am Mittwoch.
Dann trifft die Chefentwicklerin für Rennkraftstoffe bei Shell am Kurs ein. Immer dabei ist ein Container, in dem sich ihre wichtigsten Arbeitsgeräte befinden. Das mobile Laboratorium wird unmittelbar an der Strecke platziert, meist in der Box. In der klischeebehafteten Welt der Formel 1, wo harte Kerle in offenen Rennwagen der Gefahr die Stirn bieten, ist die zierliche 34-jährige Engländerin eine Ausnahmeerscheinung.
Seit 60 Jahren hält schon die Liaison, die der britisch-holländische Öl-Multi mit der italienischen Kultmarke Ferrari eingegangen ist. Seit damals ziert die gelbe Muschel als Markenlogo die roten Renner. Kooperationen wie diese sind nicht ungewöhnlich im Rennsport. Die Teams von McLaren-Mercedes und Brawn GP arbeiten zum Beispiel mit ExxonMobil zusammen, das Formel-1-Team von BMW bezog seinen Sprit in der Vergangenheit von Petronas. Ferrari ist trotz des roten Lacks dieses Jahr in der Formel 1 häufig etwas farblos geblieben, aber dass es am Sprit lag, ist eher unwahrscheinlich.
Das mobile Labor ist bei jedem Rennen dabei. Außer einem Gaschromatographen enthält die Untersuchungseinheit Mess- und Recheneinrichtungen, die es erlauben, zu jeder Zeit Analysen des Zusammenspiels von Verbrennungsmaschine und Benzin anzustellen. Bis zu 40 Mal geschieht das während eines Rennwochenendes. Die Tests sind nicht nur deshalb wichtig, um Optimierungspotenzial zu entdecken, sondern auch, weil der Welt-Motorsportverband FIA ebenfalls ein besonderes Augenmerk auf den Sprit hält.
Rund 200 verschiedene Substanzen und Komponenten sind im Rennkraftstoff versammelt und 99 Prozent der fertigen Mixtur müssen bei der FIA als chemischer Fingerabdruck des vom Team benutzten Sprits genehmigt und hinterlegt sein. Doch in dem restlichen einen Prozent steckt so viel Gestaltungsspielraum, dass es sich lohnt, immer weiter zu forschen und zu experimentieren. „Es gibt täglich Überraschungen“, sagt die 43-Jährige Chemikerin Andrea Schütze. „Das Spannende ist, beim Zünd- und Verbrennungsverhalten, beim Ansprechen der Motoren, beim Minimieren der Ablagerungen und der Reibung immer wieder nach Optimierungsmöglichkeiten zu suchen.“ Dass Formel-1-Rennwagen hochkomplexe und komplizierte Maschinen sind, die genauso nervös oder sensibel reagieren können wie Vollblutrennpferde, hat sich inzwischen herumgesprochen.
Doch dies überrascht: „Theoretisch könnten wir für jede Rennstrecke den optimalen Kraftstoff herstellen“, sagt Andrea Schütze im Hinblick auf die unterschiedlichen Streckenprofile und denen damit verbundenen Leistungsanforderungen. Hat ein Rundkurs zum Beispiel viele Geraden, also einen hohen Vollgasanteil, läuft auch die Spirtverbrennung in anderen Zyklen ab als zum Beispiel bei einem winkligen oder bergigen Kurs. Muss viel geschaltet werden, ist die Reibung ein wichtiges Thema ebenso wie bei permanent hohen Drehzahlen. Auch das Gewicht spielt bekanntlich eine große Rolle in der Formel 1. Energiereiche Moleküle sind schwerer als energiearme. Doch das rennfertige Auto muss ein exakt definiertes Gewichtslimit erfüllen.
Also sucht die Chemikerin den idealen Kompromiss zwischen der größten Energieausbeute bei gleichzeitig geringstem Gewicht. „Wir versuchen mit unserer Arbeit die Rennstrategie des Teams zu unterstützen“, sagt Lisa Lilley und hält ein Röhrchen mit dem mineralwasserklaren Rennsprit in die Höhe. „Mal geht es primär um Leistung und Verlässlichkeit, mal mehr um Gewicht und die Tempovorteile, die man daraus ziehen kann.“ Wie stark sich so etwas auswirken kann, ist Formel-1-Fans noch gut im Gedächtnis. Eine ganze Runde mehr konnte Michael Schumacher bei einem Rennen absolvieren, weil er mit leichterem Sprit unterwegs war.
Aus der Rennsporterfahrung wollen die Mineralölhersteller auch für den Alltagssprit lernen. „Wir bekommen Massen an Daten aus dem Rennsport zurück, die wir zur Optimierung der Pkw-Kraftstoffe gut brauchen können“, sagt Andrea Schütze. Sie ist Expertin für das Superbenzin V-Power, mit dem Shell seit 1998 den Fahrern von Privatautos erfolgreich suggeriert, ein Schlückchen Rennsport in den Tank ihrer Familienkutsche zu füllen. Nachdem Shell mit dem 100-oktanigen V-Power-Benzin auf den deutschen Markt gegangen war, zogen Wettbewerber wie Aral oder BP schnell nach. Dass mancher weniger gut informierte Kunde die Schlussfolgerung zog, „hohe Oktanzahl gleich viel Leistung“, kam da nicht ungelegen.
Doch die Zahl hat nichts mit Energiegehalt zu tun, sondern ist ein Maß für die Klopffestigkeit. Allen Anbietern war es bisher kein wirkliches Bedürfnis, darauf hinzuweisen, dass die Formel 1 mit deutlich weniger Oktan unterwegs ist. Wieviel genau, das mögen die Frauen von der Tankstelle nicht verraten. Das ist Betriebsgeheimnis.
geschrieben von (afb/mid) veröffentlicht am 03.11.2009 aktualisiert am 03.11.2009
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