Der vernetzte und autonome Lastwagen ist unauffällig und unterscheidet sich auf den ersten Blick kaum von den konventionellen Trucks. Höchstens die zusätzlichen Warnleuchten und die aerodynamischen Hilfen fallen dem Kenner ins Auge. Doch ansonsten ist der Mercedes-Benz Actros ein Actros fast wie jeder andere auch.
Auch das Cockpit des 40-Tonners ist vertraut. Lediglich zwei blaue Schalter und ein akustisches Signal sowie ein aufleuchtendes Symbol machen den Unterschied, wenn der Actros zu einem autonomen Lastwagen mutiert. Zusammen mit zwei anderen Trucks bildet er einen vernetzten Konvoi und rollt unauffällig auf der wie immer gut ausgelasteten A 61 Richtung Norden. Dank des von Daimler entwickelten Highway Pilot Connect kann der Fahrer nun die Hände vom Lenkrad nehmen, in die Rolle eines Logistikers wechseln und die Ankunft am Ziel vorbereiten oder an einer Frachtbörse neue Aufträge beschaffen – so sieht es wenigstens das Zukunftsszenario vor. Nur eines darf er auch in der autonomen Zukunft nicht: Schlafen.
Das Fahren übernimmt ein komplexes Netzwerk aus Kameras und Sensoren, das alle äußeren Einflüsse registriert und in die entsprechenden Reaktionen übersetzt.
Auch wenn diese Art der Logistik noch auf sich warten lässt, zeigt Daimlers Highway Pilot Connect schon jetzt, welche Möglichkeiten und handfeste Vorteile für die Speditionen aber auch für die Verkehrssicherheit sich aus dem so genannten Platooning und der Vernetzung von Lastwagen ergeben. Eine Telematikplattform an Bord der Trucks kommuniziert dabei über den WLAN-Standard IEEE 802 11p mit den anderen Fahrzeugen und der Infrastruktur und stellt die Vernetzung der Trucks her. Die Technik verarbeitet die Informationen der Video-Link- und Stereokamera sowie des Connectivity-Steuergeräts. Ergänzt wird die Plattform durch das Steuergerät Highway Pilot Connect und die Radarmodule für den Nah- und Fernbereich. Damit rollt der vernetzte Truck sicher über die Autobahn und reagiert bei Bedarf innerhalb von 0,1 Sekunden auf gefährliche Situationen mit einer Notbremsung. Der Mensch hinter dem Lenkrad benötigt bis zu 1,4 Sekunden.
„Bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h ist der Truck dann noch gut 30 Meter unterwegs, bis der Fahrer auf die Bremse tritt. Bei der elektronischen Notbremsung sind es nur 2,2 Meter“, erklärt Martin Zeilinger, Leiter Vorentwicklung bei Daimler-Trucks, der während der Fahrt auf der Autobahn aufmerksam verfolgt, wie „sein Actros“ im Platoon rollt und mit Gelassenheit reagiert, wenn sich eilige und offensichtlich mutige Automobilsten vor den 40-Tonner drängeln. Der Truck vergrößert den Abstand und schließt sofort wieder auf, wenn der Störenfried auf die linke Spur gewechselt ist.
Damit jeder Fahrer im Konvoi weiß, was an der Spitze geschieht, übermittelt die Kamera im ersten Lkw das Verkehrsgeschehen auf einen kleinen Bildschirm neben dem Lenkrad. Nach den Vorstellungen von Daimler können bis zu zehn Lkw einen Konvoi bilden. Ansonsten blickt der Fahrer vor allem auf die wenig aufregende Rückseite des vor ihm rollenden Anhängers, der sich 15 Meter vor ihm aufbaut. Allein das ist schon ein Grund, sich mit anderen Dingen zu beschäftigen. Allerdings ist die Gesetzgebung noch nicht so wie die Technik und untersagt derartige Abstände. Sollte sich die Gesetzeslage ändern, könnte die Technik drei Jahre später in Serie gehen, heißt es bei Daimler.
Zeilingers Actros rollt unbeirrt über die nicht überall eindeutig markierte A 61 Richtung Rheinland. Der 40-Tonner reagiert dabei erstaunlich sanft auf die Fahrmanöver seiner Partner vor ihm. Auch in Baustellen folgt er problemlos seinem Leitwolf. „Unser Highway Pilot Connect ist ausschließlich für vierspurige Bundesstraßen und Autobahnen mit eindeutigen Markierungen ausgelegt“, erklärt Zeilinger. Während die neue E-Klasse auch den Spurwechsel autonom erledigt, ist im Actros Handarbeit gefordert. „Wir haben bewusst darauf verzichtet, auch den Spurwechsel zu automatisieren“, sagt Zeilinger. Der Fahrer wird in diesem Zukunftsszenario nicht wie von Truckern befürchtet überflüssig, sondern erhält vielmehr zusätzliche Aufgaben, so dass der Job deutlich aufgewertet wird.
Dennoch bleibt die Befürchtung, dass der Trucker, wenn er sich um neue Aufträge kümmert oder mit dem Disponenten spricht, zu stark vom Verkehrsgeschehen abgelenkt wird. Zeilinger gibt Entwarnung: „Wir haben bei Platooning-Testfahrten die Hirntätigkeit der Fahrer bei Nebentätigkeiten gemessen und dabei herausgefunden, dass die Aufmerksamkeit nicht abnimmt, sondern im Gegenteil um 25 Prozent steigt.“
Platooning wird auch zu einer wesentlich besseren Auslastung der Infrastruktur beitragen, denn das Straßennetz wird sich nicht dramatisch vergrößern, obwohl sich der Frachtverkehr in den kommenden drei Jahrzehnten verdreifachen wird. Allein der geringere Abstand der Lastwagen untereinander ermöglicht eine effektivere Nutzung der Straßen. Drei Sattelzüge im vernetzten Verbund belegen zusammen nur 80 Meter Fahrbahn gegenüber 150 Meter im konventionellen Verkehr. Gleichzeitig wächst die Verkehrssicherheit, denn der Verbund aus Kameras und Sensoren registriert Gefahrenpunkte deutlich früher als der Mensch und reagiert entsprechend. Und schließlich verbrauchen Trucks im Platooning weniger als „Einzelkämpfer“. Im Durchschnitt verringert sich der Treibstoffverbrauch um rund fünf Prozent. Und das macht sich dann in der Kostenkalkulation bemerkbar.
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