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Wie immer ist des einen Freud‘ des anderen Leid. Auf der einen Seite freute sich NRW-Innenminister Ralf Jäger in Düsseldorf einen Tag nach dem ersten bundesweiten „Blitz-Marathon“ am 10. Oktober 2013: „Das war ein guter Tag für die Verkehrssicherheit in Deutschland. Wir Innenminister sind sehr zufrieden.“ Verständlich. Auch die zusätzlichen Einnahmen aus Bußgeldern dürften Grund genug für die Freude sein. Fast 15 000 Polizisten hatten an mehr als 8600 Orten in ganz Deutschland Radarfallen aufgestellt und dabei das Tempo von drei Millionen Autofahrern gemessen.
Auf der anderen Seite werden sich in den nächsten Tagen und Wochen mehr als 83 000 Autofahrer über Post von ihrer für sie zuständigen Straßenverkehrsbehörde ärgern. Ganz besonders jene, bei denen die Polizei besonders drastische Limit-Überschreitungen festgestellt haben will.
So wurden auf der BAB A1 bei Schwelm zwei Autos im Abstand von 10 Minuten mit einem Tempo von jeweils 250 km/h gemessen. Erlaubt ist dort nur eine Höchstgeschwindigkeit von 120 km/h. Beide Fahrer erwartet eine Geldbuße von mindestens 600 Euro, drei Monate Fahrverbot und vier Punkte in der Flensburger Kartei.
In Krefeld fiel ein Autofahrer in einer 50er-Zone mit 119 km/h auf. Das wird ihn 480 Euro Bußgeld, drei Monate Fahrverbot und vier Punkte kosten.
Ein Fahrer fuhr in einer 30er-Zone in Warendorf mehr als doppelt so schnell wie erlaubt: 75 km/h. Kostenpinkt: 200 Euro, ein Monat Fahrverbot und vier Punkte in Flensburg.
Allein in Nordrhein-Westfalen waren 322 Fahrerinnen und Fahrer so schnell, dass ihnen ein Fahrverbot droht. Vier Führerscheine kassierte die Polizei gleich an Ort und Stelle. Darunter auch den von Fußballprofi Pierre-Emerick Aubameyang von Borussia Dortmund, der bislang nur durch enorme Schnelligkeit auf dem grünen Rasen aufgefallen war. Angeblich soll man den sprintstarken Stürmer über 30 Meter mit 3,7 Sekunden gestoppt haben, was schneller wäre als Usain Bolt aus Jamaikabei seinem ^jüngsten Weltrekordlauf. Diesmal fiel Aubameyang auch jenseits des grünen Rasens als Raser auf. Am 10. Oktober brachte er es mit seinem Porsche auf der Dortmunder Flughafenstraße in einer Tempo-30-Zone auf 77.km/h. Keine Frage: Wer ein Tempolimit überschreitet, hat je nach Ausmaß eine mehr oder weniger drastische Strafe verdient. Schließlich gehört unvernünftiges Rasen unbestritten zu den wichtigsten Unfallursachen und ist damit für viele Tote und Verletzte auf Deutschlands Straßen verantwortlich. Doch sind Messgeräte und das Personal, das sie bedient, immer unfehlbar?
Ganz im Gegenteil, behaupten Hans-Peter Grün und sein Team aus von der Industrie- und Handelskammer Saarbrücken bestellten und vereidigten Sachverständigen. Seit einigen Jahren beschäftigen sie sich mit ihrer „Verkehr – Unfall – Technik – Sachverständigengesellschaft mbH und Co KG“ im saarländischen Püttlingen hauptsächlich mit der Überprüfung von Messergebnissen aus der Verkehrsüberwachung. Hierbei taucht immer wieder die Frage auf, wie zuverlässig die Tempomessungen tatsächlich sind.
Zwischen April 2007 und Januar 2013 untersuchten die Saarländer 14 783 anonymisierte Ordnungswidrigkeitsverfahren wegen Überschreitung des Tempolimits, die vor Gericht gelandet waren . Die gesammelten Ergebnisse teilten die Sachverständigen in vier Kategorien ein:
Kategorie A: falscher Tatvorwurf Falsche oder in der Höhe falsche Messwerte, fehlerhafte Messwertzuordnungen sowie fehlende und nicht beizubringende Beweismittel.
Kategorie B: Beweisführung in der Bußgeldakte mangelhaft Die Mängel waren in einem Maße erheblich, dass das Messergebnis aus technischer Sicht nicht nachvollziehbar war. Ein Bußgeldbescheid hätte nicht erlassen werden dürfen.
Kategorie C: geringe Mängel Hier waren Mängel eingeordnet, die erfahrungsgemäß zu beheben sind. Hier wurden Mängel wie fehlende Schulungsbescheinigungen, Eichscheine oder fehlende Bearbeitungshinweise eingestuft.
Kategorie D: keine Mängel Keine Schwachstellen zu finden.
44 Prozent – 6.505 Fälle, also weniger als die Hälfte – fielen in die Kategorie D.
25 Prozent – 3.696 Fälle – fielen mit einer groben (Kategorie B), 23 Prozent – 3.399 Fälle -einer geringeren (Kategorie C) mangelnde Beweisführung durch.
Acht Prozent – 1.183 Fälle – waren nachweislich technisch fehlerhaft (Kategorie A).
Dass die Messergebnisse bei Weitem nicht so vertrauenswürdig sind, wie manche glauben, ist nicht neu. Berichte und Gerichtsurteile stellen immer wieder erhebliche Fehler bei den Messverfahren fest. Zum einen aufgrund der Technik, zum anderen aufgrund falscher Bedienung. Auf der einen Seite halten Hersteller sich bedeckt, wenn sie die Funktionsweise ihrer Geschwindigkeitsmessgeräte offenbaren sollen. Sachverständige scheitern bei ihrer Nachprüfung oft am rechtlichen Schutz von Betriebsgeheimnissen. Hinzukommen verschiedene Messverfahren wie Radar, Laserpistole oder Lichtschranke. Auf der anderen Seite müssten Behörden ihre Mitarbeiter besser schulen. Denn zahlreiche Faktoren wie Standort, Verkehrs- und Wetterverhältnisse beeinflussen die Messung.
Dazu kommt ein weiteres Problem. Nicht jeder, der geblitzt wurde, fuhr auch wirklich zu schnell wie zum Beispiel Lucie Derdak aus Steinhagen. Die wurde wie der WDR in seiner Sendung „Aktuelle Stunde“ Berichtete, in einer Baustelle auf der Autobahn mit 130 km/h geblitzt. So schnell fährt die ältere Dame nie: „Morgens früh, wenn ich zur Arbeit fahre um die 80, sonst höchstens 90, alles andere ist mir zu schnell.“ Und tatsächlich: Wegen der Baustelle war die Fahrbahn an der fraglichen Stelle verengt, das Radargerät hatte den entgegenkommenden Verkehr gleich mit gemessen.
Will ein angeblicher Temposünder aber dem ihm aufgrund der vorgeworfenen Ordnungswidrigkeit verhängten Bußgeld entgehen, muss er – besser: ein ausgeschlafener Anwalt – konkrete Angriffspunkte gegen die Messung vortragen. Behauptungen wie, das Blitzgerät habe nicht richtig funktioniert oder sei falsch aufgestellt gewesen, versprechen keinen Erfolg. Nur bei konkretem Beweisantrag fällt Gerichten im Prozess und Behörden im Vorverfahren die Ablehnung der Amtsaufklärungspflicht bei Ordnungswidrigkeiten schwer.
Dazu müssten Verteidiger aber umfassenden Zugang zu Messunterlagen, insbesondere Gebrauchsanweisungen, Eichnachweisen, Kenntnissen des Messenden und weiteren für die Schuldfrage entscheidenden Informationen haben. Und daran fehlt es zur Zeit noch. Ein besseres Akteneinsichtsrecht für Rechtsanwälte, wie es beispielsweise auf dem alljährlich stattfindenden Verkehrsgerichtstag in Goslar aufgrund des Rechts auf ein faires Verfahren immer wieder gefordert wird.
geschrieben von auto.de/(ampnet/hrr) veröffentlicht am 14.10.2013 aktualisiert am 14.10.2013
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