Markant, respekteinfößend, manchmal fast erschreckend: So klingt je nach Gemütslage ein röhrender Elch. So klingt aber auch je nach Drehzahl der auf Sport getrimmte Schweden-Kombi Volvo V60 Polestar. Mit satten 270 kW/367 PS stellt der 2,0-Liter-Turbo-Kompressor-Benziner im V60 Polestar den Grip zwischen Fahrbahn und Reifen auf die Probe. Und das Röhren, das dabei erklingt, ist beleibe nicht das einzig Imposante am rassigen Sportler, der unter dem Motto "Performance by Sweden" die Kombi-Szene bereichert.
Wer "Schweden" und "Sport" hört, denkt wohl vor allem an Fußballer Ibrahimovic oder Eishockey. Ältere Semester mögen noch Slalomkünstler Ingemar Stenmark in Erinnerung haben. Aber Sport und Volvo? Die Sicherheitspäpste aus dem hohen Norden überraschen dank ihrer Polestar-Modelle mit extrahoher Serien-Dynamik, ganz nach dem Strickmuster ähnlicher Haustuner wie AMG für Mercedes oder M für BMW. Bei Volvo lassen Ingenieure und Testfahrer ihren reichen Erfahrungsschatz in die Entwicklung einfließen. Der V60 und sein Limousinen-Bruder S60 Polestar basieren auf den T6-Modellen, die mit 225 kW/306 PS ohnehin schon stark auftreten. Doch vor allem das Drehmoment hebt den um 61 PS stärkeren Spitzensportler Polestar vom Rest der V60/S60-Riege deutlich ab: 470 Nm drücken zwischen 3.100 und 5.100 auf den Allradantrieb, der diese Wucht souverän in Fortbewegung umsetzt - 70 Nm extra fürs Topmodell im Vergleich zum T6. Die Drehzahlwerte lassen allerdings bereits erahnen, was man im Test deutlich merkt: Der Vierzylinder will, dass es hoch hergeht. Erst dann geht die Post so richtig ab. Trotzdem verdient großes Lob, dass sich der V60 auch bei niedrigen Touren komfortabel und lässig bewegen lässt. Wer voll aufs Gas treten möchte: Bei 250 km/h ist zwar Schluss mit der knapp 1,8 Tonnen schweren Fuhre, aber bis dahin kommt etwa beim Null-auf-hundert-Sprint in nur 4,8 s jede Menge Fahrspaß auf.
Äußerlich erkennt man den Top-Athleten unter den Volvo-Kombis im Idealfall zunächst an der Farbe "Rebel Blue", die dem Dynamiker eindeutig am besten steht. Ebenfalls knallblau erstrahlen im Interieur zahlreiche Ziernähte und Schriftzüge und ergänzen somit die optisch gelungenen Einlagen in Echtkarbon. Außerdem: Leder, wohin das Auge blickt und die Hände greifen, etwa ans beheizbare und sehr griffige Lenkrad. Äußerliche Erkennungsmerkmale des V60 Polestar: Sogenannte Splitter vorne, dazu ein Spoiler und Diffusor hinten bringen aerodynamisch Ruhe ins Fahrzeug - vor allem bei hohen Geschwindigkeiten, in denen sich der typische Polestar-Käufer oft und gerne besonders stabil bewegen möchte. Den glänzend schwarzen Kühlergrill ziert ein auffälliges - ebenfalls knallblaues - Polestar-Emblem. Besonders auffällig sind auch die riesigen 20 Zoll-Spezialfelgen sowie die Edelstahl-Auspuffrohre, die den charakteristischen Polestar-Sound ins Freie entlassen.
Daneben hebt natürlich reichlich Technik den spitzensportlichen vom normalen Volvo V60 ab. Unter anderem sind dies naheliegende Modifikationen an Fahrwerk und Antriebsstrang, aber auch massiv an Lenkung und Bremsen. Letztere sind in der XXL-Dimension mit 371 mm Durchmesser montiert und beißen zu wie ein ausgehungerter Elch am frisch aufgefüllten Futtertrog. Beim Polestar funktioneren selbst die Gangwechsel auf getunte Art und Weise, denn die Achtgang-Automatik glänzt mit kürzeren Schaltzeiten. Allerdings: Vorbildliche Automatik-Konkurrenz etwa von BMW oder Doppel-Kuppler fühlen sich noch flinker an. Das Allradsystem von BorgWarner ist hecklastig ausgelegt und bringt somit zusätzliche Fahrdynamik. Es ist beim Polestar ebenso schärfer abgestimmt wie etwa der Schleuderschutz ESP. Variabel wird das jeweilige Fahrverhalten dank der verstellbaren Stoßdämpfer vom schwedischen Spezialisten Öhlins. Dreifach justierbar ist die Lenkung, so dass sich der Polestar-Pilot seinen Volvo V60 je nach Laune und Fahrbahnbeschaffenheit zurecht legen kann. Dank solcher Technologien soll der Power-Kombi von beinhart bis komfortabel variieren. Letzteres jedoch nur mit Einschränkungen. Nicht umsonst ist im Volvo-Sprech so offen und ehrlich von "hohem Restkomfort" die Rede.
Bei der Sicherheit haben es die Volvo-Entwickler teils zu gut gemeint. Die Kollisionswarnung etwa versetzt den V60-Fahrer in kurzzeitige Schockstarre, wenn sie rot blinkt und gleichzeitig lauthals drauflos piepst - wohlgemerkt bei keiner tatsächlichen, sondern einer nur vermeintlichen Zufahrt auf ein Hindernis. Lobenswert hingegen: Bei den Polestar-Modellen gehören sämtliche wesentlichen Sicherheitssysteme zum Serienumfang, die Volvo zu bieten hat. Und das sind traditionsgemäß sehr viele - bis hin zu den gemeinsam mit Spezialist Britax-Römer entwickelten Kindersitzen, die gerade in einem Kombi ein meist sehr willkommenes Feature darstellen. Kombi-typisch setzt sich der V60 Polestar im Vergleich zur Limousine S60 noch mit weiteren sehr praktischen Merkmalen in Szene. Darunter: Ein Trennnetz sowie ein Befestigungssystem im Kofferraum und eine im Verhältnis 40:20:40 teilbare Rücksitzbank. Klapp man diese komplett um, so entsteht allerdings nur ein Ladevolumen von 1.241 Liter. Der Volvo V60 ist eben eher ein Designkombi als ein Raumwunder.
Im Praxistest hält der Volvo V60 Polestar mit tadelloser Fahrdynamik, was sein sportlich-dynamisch-knallblauer Auftritt verspricht. Dabei liegt der Verbrauch nicht gerade niedrig: Aus den 8,1/100 km laut Norm werden in Realität schnell mal gut 11. Die von der aggressiven Optik her geweckten Erwartungen sind sehr hoch, denn der schnelle Schwede erntet überall und bei fast allen Betrachtern spürbar hohe Sympathien oder zumindest großes Interesse. Gefördert wird dies in Zukunft noch durch die künstliche Verknappung des schnittigen Sport-Kombis: Von 1.500 produzierten Exemplaren gelangen nur 150 über deutsche Händler zum Kunden. Also sollte man es zu schätzen wissen, wenn einem der wie ein Elch klingende Schweden-Kombi einmal über den Weg röhrt.