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Es ist 13.30 Uhr. Die Temperatur wechselt zügig von „verdammt kalt“ zu „noch viel kälter“. Die Straßenlaternen flackern kurz auf – und werfen dann ihr gelbliches Licht auf weißgraue Schneepisten im grauweißen Nebel. Links Tannen, Birken, Schnee, rechts Tannen, Birken, Schnee. So weit das Auge blickt. Guten Abend in Arjeplog.
In Schwedens hohem Norden,[foto id=“499326″ size=“small“ position=“right“] 60 Kilometer vor dem Polarkreis, fühlt sich der normale Besucher wie am Ende der Welt. Der normale Techniker bei Bosch, Mercedes, BMW, Fiat oder VW fühlt sich dagegen wie im Mittelpunkt des Universums. Seines Universums. Denn seit mehr als 40 Jahren testet die Autoindustrie hier, welche Technik in den kommenden Jahren in unsere Autos Einzug halten darf. „Und wie sich diese Technik unter Extrembedingungen hält“, ergänzt Gerhard Steiger, Chef des Bosch-Geschäftsbereiches Chassis Systems Control.
Auf die Füße treten sich die Tester dabei nur an einem einzigen Ort: der Ankunftshalle am „Flygplats Arvidsjaur“. Denn den einzigen Airport weit und breit steuern in den Wintermonaten täglich Direktflüge aus Stuttgart, München, Hannover oder Frankfurt an. Große Maschinen mit jeweils mehr als 100 Passagieren. Aus dem Empfangsgebäude von der Größe eines größeren Wohnzimmers quetschen sie sich zu ihren Bussen – und dann vorbei an zugefrorenen Seen über tief verschneite Straßen zu den Teststrecken weiter nördlich.
[foto id=“499327″ size=“small“ position=“left“]1967 war das noch beschaulicher: Opel quälte damals als erster deutscher Automobilhersteller seine Kadett und Rekord über die verschneiten Wege. Springt der Wagen morgens an? Lebt die Heizung auf? Wann kommen auch Spikes und Ketten an ihre Grenzen? Das waren Grundsatzfragen, die die Tester damals bewegten.
Anfang der Siebziger wurde es dynamischer. Saab und Volvo ließen damals mit der späteren Bosch-Tochter Teldix Fahrzeuge gezielt an ihre Grenzen rutschen – um sie mit einem geheimnisvollen Helfer wieder einzufangen: dem Antiblockiersystem. Der schwedische Versicherer Folksam unterstützte die Entwicklung. Denn eine Gefahr droht früher oder später in dieser Ecke Schwedens: Ein Elch wird kommen. Sei bremsbereit! Bei weltweit aktiven Herstellern gilt der Weckruf natürlich[foto id=“499328″ size=“small“ position=“right“] auch für Nashorn, Hirsch oder Känguru.
Zugefrorene riesige Seeflächen liefern seit damals ideale Bedingungen, um solche Innovationen zu prüfen und marktreif zu machen. Gut, dass dem Ingenieur bekanntlich „nichts zu schwör“ ist. Die vier Test-Pioniere von Teldix/Bosch etwa fanden als erste Bleibe lediglich eine einfache Holzhütte ohne Zentralheizung oder fließendes Wasser vor. Holz hacken, Heizen, Eiswasser auftauen, bei 30 Grad Minus aufs Plumpsklo hasten. So war das. Und „einmal am Tag die Messergebnisse vom Münztelefon im Hotel Laponia aus nach Stuttgart durchtelefonieren“, sagt Gerhard Steiger.
Heute ist das Auto-Testen in Lappland hochprofessionell; die Gemeinde Arjeplog blüht daher zwischen Mitte November und Mitte April auf wie eine Eisblume in polarer Winternacht. Normalerweise verlieren sich hier 3.000 Einwohner (und 2.500 Elche) auf einer Fläche, 18mal so groß wie Berlin. Ab Dezember konzentriert sich alles auf den Ansturm der Tester.[foto id=“499329″ size=“small“ position=“left“] Bürgermeisterin Brita Flinkfeldt-Janson: „Die Autotester verdoppeln im Winter unsere Einwohnerzahl – und verdreifachen unsere Freude.“
Denn bis nach Ostern sind die Seen mindestens 30 Zentimeter dick vereist, können Autos und Lkw tragen – und damit den jährlichen Aufschwung. Lappländische Experten bringen die Oberflächen mit 20 Tonnen schweren Fräsen, Poliermaschinen, Sand oder Split exakt in die Verfassung, die der Tester aus Stuttgart, München oder Seoul fordert. Mit Radar und Bohrungen wird dieser Zustand des Eises ständig überwacht.
So haben die Ingenieure genug Zeit, um Herz, Hirn und Nieren neuer Systeme zu prüfen. „500.000 Testkilometer spulen allein wir jeden Winter hier ab“, sagt Steiger. Bei VW soll auch schon mal das Dreifache gefordert sein, berichten einheimische Fahrer. Sicher ist sicher. Schließlich rückt im März der komplette Vorstand um Martin Winterkorn zur Endabnahme an.[foto id=“499330″ size=“small“ position=“right“]
Im tiefen Winter zeigt sich Tageslicht oft gerade einmal vier, fünf Stunden am Horizont – weit mehr als doppelt so lang wird aber gearbeitet. Bis auf Sauna, Burger und einem Norrlands-Bierchen am Abend gibt es ohnehin nicht viel Ablenkung. Auch, wenn die Büro- und Wohnbedingungen inzwischen fast wie daheim sind. Inklusive „Arjeplog Times“, einer Wochenzeitung eigens für die Gastarbeiter aus aller Welt. Viele Ingenieure leben sogar in den Häuschen der Einheimischen. Die ziehen derweil zu Verwandten, in einen Wohnwagen oder leisten sich ein paar Wochen auf Mallorca. Ein gutes Geschäft für die Lappen ist es allemal. Rund 300 Jobs hängen direkt am Testzirkus, Hunderte weitere am Drumherum. Hotels, Restaurants, Lädchen, Tankstellen.
Bosch feiert in diesen Tagen bereits zehnjähriges Jubiläum seines eigenen Geländes auf der Halbinsel Vaitoudden. 20 Millionen Euro hat das Areal gekostet, vier mal vier Kilometer groß. Ein See mit drei weiteren Quadratkilometern gehört auch noch dazu. Auf die eisigen Gaben der Natur müssen sich die Ingenieure dort nicht mehr allein verlassen. [foto id=“499331″ size=“small“ position=“left“]In den Asphalt sind Heizschlangen und Kühlsysteme eingebaut; jede beliebige Reaktion eines Autos lässt sich so herbeiführen und prüfen. Reifen greifen nur links, rechts ist blankes Eis, Split oder Schnee? Jetzt schnell ausweichen, bremsen, beschleunigen. Steilstrecken mit unterschiedlichen Steigungsgraden, standardisierte Testparcours mit unterschiedlichsten Oberflächen, eingefräste Pisten in die spiegelblanke Eisfläche des Sees – hier müssen ABS, ESP oder Assistenzsysteme noch mehr Leistung zeigen.
„Manchmal übrigens auch, wenn der Ingenieur auf dem Nachhauseweg vom Test auf dem Uddjaur-See ist“, weiß Steiger. Dann kracht es im Unterholz neben der verschneiten Fahrbahn, und plötzlich kreuzt ein brauner Riese die Bahn. Da gibt’s nur eins: Elchtest live – oder „Gute Nacht“ in Arjeplog.
geschrieben von auto.de/sp-x veröffentlicht am 06.02.2014 aktualisiert am 06.02.2014
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